Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)
dachte, was den lieben Gott nicht wenig ärgern mußte, sondern nur noch an ihren schönen Edelmann, dem all ihre Gebete und Seufzer galten, dem ihr Herz entgegenflammte, dem ihre feuchten Blicke folgten, nach dem ihre feuchten Lippen schmachteten: »Oh«, sagte sie oft in heimlichen Stoßgebeten, »wie gern wollt ich mein Leben hingeben für einen Kuß des schönen Geliebten, der mich wieder liebt.« Und wie oft, wenn sie die Litanei an die Heilige Jungfrau betete, fiel sie aus dem Text, vergaß die Heilige Jungfrau und das Ora pro nobis und dachte einzig an die blühende Jugend des Geliebten und dachte sich alle Seligkeiten mit ihm aus, wofür sie sich gern auf den Scheiterhaufen hätte werfen lassen, wo man die Ketzer verbrannte. Der Italiener aber las ihr ihre Gebete und Stoßseufzer von den Augen ab, er stellte sich nur noch in die Nähe ihrer Bank, und seine Augen sagten ihr, daß er alles wisse, in einer Sprache, die alle Frauen verstehen. Heimlich in seinem Innern tat er einen heiligen Schwur: »Bei dem Doppelgehörn meines Vaters«, so schwur er, »diese Frau soll mein sein, und wenn ich mein Leben dabei lassen müßte.«
Wenn dann die Amme sich ein wenig wegwandte, war das ein verstohlenes Händedrücken, Seufzen, Schmachten der Augen und ein Sichbegegnen und Küssen der Blicke, solcher Blicke, daß die Lunte eines Musketiers Feuer gefangen hätte, wenn ein Musketier in der Nähe gewesen wäre. So war die Suppe eingebrockt und wollte ausgegessen werden.
Und also verkleidete sich der Italiener als Schüler der Sorbonne und machte sich an die Schreiber des Advokaten, pokulierte und trank Brüderschaft mit ihnen, um die Gewohnheiten ihres Herrn auszukundschaften, die Stunden seiner Abwesenheit, wann er verreiste und was ihm sonst zu wissen nützlich schien, um ihn ans Ziel zu bringen.
Und zu seinem Verderben klappte alles aufs beste. Obwohl der Advokat, wie wir gehört haben, nur halb und halb von der Partei und entschlossen war, wenn es ihm vorteilhaft schien, die Sache seiner Glaubensbrüder an die Guisen zu verraten, wurde er jetzt von der hugenottischen Verschwörung veranlaßt, nach der Stadt Blois zu reisen, wo damals der Hof sich aufhielt und der Gewaltstreich dieser Hugenotten gegen den König zur Exekution kommen sollte. Das alles erfuhr der Italiener.
Er reiste darum dem Advokaten voraus nach der Stadt Blois, um dem Herrn Gemahl daselbst eine Falle zu bereiten, eine Meisterfalle, aus der der gute Avenelles, seiner Schlauköpfigkeit zum Trotz, nicht ungehörnt hervorgehen sollte. Der liebestolle Italiener ließ von seinem zahlreichen Dienervolk und mittels seines Geldes die sämtlichen Herbergswirte der guten Stadt Blois dahin bearbeiten, daß der Advokat, als er drei Tage darauf mit seiner Frau und seiner Amme ankam, überall abgewiesen wurde, weil infolge der Anwesenheit des Hofs alles überfüllt sei. Das Gasthaus ›Zur Königlichen Sonne‹ mietete der Edelmann für sich ganz allein unter der Bedingung, daß der Wirt die Dienerschaft des Hauses entferne und der Dienst durch die Leute des Italieners besorgt werde. Zu allem Überfluß schickte er den Bratendreher von Wirt und seine Leute aufs Land, also daß er mit den Seinigen vollständig über das Haus verfügte, wovon der Advokat keine Ahnung haben konnte.
Er gab seinen zahlreichen Freunden, die mit dem Hof in die Stadt gekommen waren, freies Quartier in dem Gasthaus, für sich aber behielt er ein einziges Zimmer, das über demjenigen lag, wo er seine schöne Geliebte, die Amme und den Advokaten unterzubringen gedachte. Beide Gemächer setzte er durch eine Falltür, die er in dem Fußboden des seinigen anbringen ließ, miteinander in Verbindung. Sein Küchenmeister mußte den Wirt spielen, seine Pagen, Kammerdiener, Läufer, Stallknechte und ihre Weiber hatten sich in den Dienst des Hauses zu teilen.
Nachdem er so seine Vorbereitungen getroffen, erwartete er die Hauptpersonen der Komödie: Frau, Ehemann und Amme. Sie blieben nicht lange aus. Bei dem ungewöhnlichen Zusammenströmen von Herrschaften, Kriegsvölkern, Krämern und Kaufleuten jeder Art neben einer Unmasse von Bedientenpack, wie es der Aufenthalt des jungen Königs, zweier Königinnen, der Herren Guisen, kurz, des ganzen Hofs mit sich brachte, fand niemand Zeit und Lust, auf die strategische List des Italieners und die seltsamen Veränderungen in der ›Königlichen Sonne‹ weiter achtzugeben. Kommt unter dem vielen Volk auch Meister Avenelles in der Stadt an samt seiner
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