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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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der Kirche Saint-Jehan am Grève-Platz. Die Advokatin entzog sich ihm nicht, sie ließ sich küssen und pressen und wieder küssen, wie nur heißhungrige Verliebte tun können, und dann schwuren sich beide, die ganze Nacht zusammenzubleiben, und wenn der Himmel einfallen sollte, wobei sie allein an das Glück dachte, das sie erwartete, und er seinem Degen vertraute, mit dessen Beistand es ihm um weitere Nächte nicht bange war.
    Kurz, die beiden waren wenig bekümmert um ihr Leben, wenn es ihnen nur jetzt vergönnt war, in einem Zug alles auszutrinken, die Lust von tausend Leben, und sich eins dem andern tausend süße Seligkeiten zu geben. Sollten sie auch in einen Abgrund stürzen, wenn es nur vereint geschah in süßer Umklammerung. So setzten sie alles auf den einen Wurf und schenkten sich alles Maß und Übermaß der Liebe auf einmal ein. Habt ihr einen Begriff von solcher Liebe, ihr armen guten Bürger an der Seite eurer hausbackenen Ehefrauen? Habt ihr von ferne eine Ahnung von den heftigen Erschütterungen, heißen Wallungen und gewaltsamen Umarmungen junger Liebenden, die in heller Inbrunst sich vermengen im grausen Angesicht des sichern Todes?
    Rührten also beide wenig an das lecker zubereitete Essen, sondern suchten ohne Verzug das Lager auf, wo wir sie allein lassen müssen, da keine Sprache der Welt, außer der des Paradieses, die wir nicht kennen, ihre verzückten Todesängste und ihre todesbangen Verzückungen auszusprechen vermöchte, unter denen alle Erinnerungen an das Ehebett elend verblaßten.
    Unterdessen sah sich der Herr Gemahl in Händel verwickelt, die ihn verhinderten, sich um seine Frau zu kümmern. In dem Konventikel der Hugenotten war der Fürst von Condé mit allen Häuptern der Verschwörung erschienen, und es wurde beschlossen, sich der Königinmutter, des jungen Königs, der jungen Königin und aller Guisen mit Gewalt zu bemächtigen und eine neue Ordnung des Staats zu gründen.
    Wie der Advokat sah, daß die Sache so ernst wurde, fiel ihm das Herz in die Hose. Er begriff, daß es hier um den Kopf ging; kein Wunder, daß er das Gewächs nicht spürte, das ihm eben darauf wuchs.
    Er lief also von den Hugenotten hinweg schnurstracks zu dem Haupt der Guisen, dem Kardinal von Lothringen, und überbrachte ihm brühwarm die hugenottische Abendsuppe. Der Kardinal aber nahm ihn sofort mit sich zu seinem Bruder, dem Herzog, wo die drei lange ernstliche Beratungen pflogen, dergestalt, daß es Mitternacht wurde, bis der Advokat, dem sie die wunderbarsten Versprechungen machten, das Schloß heimlich verlassen konnte. Zu dieser Stunde ging es hoch her in der Herberge ›Zur Königlichen Sonne‹. Das ganze Dienervolk des Edelmanns gab sich ein Fest zu Ehren der Hochzeit ihres Herrn, und man kann sich denken, mit welchen Späßen, Frechheiten und Gelächter diese ausgelassene, tolle, berauschte Spitzbubenbande den armen Advokaten empfing, der schon jetzt den Braten roch und zitternd und totenbleich nach seinem Zimmer stürzte, wo er niemand fand als die arme Amme. Sie wollte sprechen, aber Avenelles packte sie an der Kehle und gab ihr zu verstehen, daß sie schweigen solle. Er holte aus seinem Koffer einen guten Dolch hervor, und in dem Augenblick, wo er ihn aus der Scheide zog, drang durch die Falltür herunter ein freies, lustiges, verliebtes, himmlisch-seliges Lachen, begleitet von Worten, die nicht schwer zu verstehen waren. Da sah der Advokat, der schlauerweise seinen Leuchter auslöschte, durch die Spalten der Falltüre ein Licht und erkannte die Stimme seiner Frau und die ihres Ritters, worüber ihm noch ein ganz anderes Licht aufging. Er ergriff den Arm seiner Magd, stieg mit ihr die Treppe hinauf und suchte schleichenden Schrittes die Türe zu dem Zimmer der Liebenden. Er brauchte nicht lange zu suchen, und mit der Kraft des Verzweifelten drückte er die Türe ein und stürzte wütend nach dem Bette, wo er seine halbnackte Frau in den Armen des Edelmannes überraschte.
    »Ah!« stieß seine Frau aus.
    Der Edelmann war seinem Stoß ausgewichen und suchte nun dem Advokaten den Dolch aus der Hand zu winden. Es entstand ein Kampf auf Leben und Tod. Dabei bekam der arme Advokat nicht nur die eisernen Fäuste seines Gegners und Platzhalters, sondern auch die schönen Zähne seiner lieben Frau zu spüren, die ihn nicht übel zurichteten. In seiner Verzweiflung kam ihm eine List. Er befahl der Magd in seinem Dialekt, das verliebte Paar mit den seidenen Kordeln von der Falltüre zu umwickeln, er

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