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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Neuvermählte, »du weißt schon mehr als mein Meister.«
    Seit dieser Nacht lebten die beiden in ungetrübtem Glück und vollkommener ehelicher Treue, worüber sich niemand verwundern wird, da sie zuvor an andern, die doch ihre Meister sein wollten, viel Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit gefunden hatten und also keine Lust verspürten zu neuen Versuchen, sondern ein für allemal überzeugt blieben, daß das Brot nirgend so wohlschmeckend sei als im eigenen Hause, weswegen der Herr von Moncontour in seinem Alter zu sagen pflegte:
    »Macht es wie ich, laßt euch lieber in euern Apfel beißen, wenn er noch grün, als wenn er mürb ist.«
    Oder gefällt sie euch nicht, diese Ehestandsmoral?

Eine teure Liebesnacht

     
    In dem Winter, als die ersten Religionsunruhen ausbrachen und die Reformierten oder Hugenotten allseitig zu den Waffen griffen und die sogenannte Rebellion von Amboise anzettelten, hatte ein Advokat namens Avenelles ihnen sein Haus in der Stadt Tours in der Rue des Marmouzets zu ihren Zusammenkünften und Konventikeln überlassen, da er heimlich zu ihnen gehörte, obwohl er nicht ahnte, daß der Fürst von Condé, die Regnaudie und andre bereits beschlossen hatten, sich des Königs mit Gewalt zu bemächtigen. Dieser Avenelles war ein häßlicher rotbärtiger Kerl, sein eingetrocknetes Gesicht war käsegrau, wie man es oft antrifft bei diesen Schikanenmachern, die im Düster der Gerichtshöfe vegetieren wie der Schimmel im Keller, kurz, er war der ausverschämteste Gesell von einem Advokaten, den man sich denken konnte. Alles war ihm feil, er war ein richtiger Judas Ischariot, und eine Hinrichtung machte ihn vergnügt wie eine Hochzeit. Nach einigen Autoren war er bei der genannten Angelegenheit, nämlich in der hugenottischen, als ein richtiger Schlaukopf, halb Fisch, halb Fleisch, halb hüben, halb drüben, und aus der folgenden Geschichte geht deutlich hervor, daß die genannten Autoren um den Mann gut Bescheid wußten. Dieser Gescheitle von Rechtsverdreher hatte ein hübsches Pariser Bürgerkind zur Frau und war so eifersüchtig auf sie, daß er sie um eines Fältchens im Bettuch willen, das sie ihm nicht zu erklären vermochte, zu erwürgen imstande gewesen wäre, nicht bedenkend, daß es auch unschuldige Fältchen geben kann. Seine gute Frau aber glättete ihre Tücher mit solcher Sorgfalt, daß er auch nicht den Schatten von einem Knitterchen darin finden konnte. Sie kannte den bösartigen Charakter ihres Mannes und nahm sich zusammen. Sie stand immer bereit wie ein Leuchter und entfernte sich so wenig von ihrer Pflicht wie ein Schrank von der Wand, der sich nie von selber öffnet, sondern wartet, daß man ihn aufschließe. Dessenungeachtet hatte der Advokat sie unter die Aufsicht und Vormundschaft von einer alten Magd gestellt, einem Ausbund von Häßlichkeit, die den Avenelles mit ihrer Milch aufgepäppelt hatte und ihm anhing wie einem Landsknecht der Säbel.

     
    Die einzige Abwechslung, die sich das arme Frauchen in dem tristen Einerlei der Haushaltung gönnte, war ihr täglicher Gang zur Messe in der Kirche Saint-Jehan am Grève-Platz, wo damals, wie jedermann weiß, die schöne Welt sich ihr Stelldichein gab. Indem sie nun hier ihre Paternoster murmelte, ließ sie fleißig ihre Augen spazierengehen und machte sich ein Vergnügen daraus, die hübschen Scharwenzel zu bewundern, die gebügelt und geschniegelt, gesalbt und parfümiert, wie bunte Schmetterlinge da umhergaukelten und worunter ihr besonders einer in die Augen stach, in den sie sich verliebte, ohne es zu merken. Denn er war schön in der Maienblüte seiner Tage, war stets in die kostbarsten Stoffe gekleidet, hatte das stolzeste Aussehen und die kühnste Haltung.

     
    Kurz, er hatte alles, um einem kleinen Weibchen den Kopf zu verdrehen, das in seine Haushaltung eingezwängt ist wie eine Auster in ihre Schale, was ihr nach und nach unerträglich dünkt, daß sie wie ein Füllen in den Strängen sich aufbäumt gegen alle ehelichen Zäume und Zügel. Er selber, ein junger italienischer Edelmann und Freund der Königinmutter, hatte längst ein Auge auf die kleine Advokatin geworfen, deren stumme Liebe, der Teufel mußte sie ihm verraten haben, in seinem eignen Herzen einen Widerhall fand. Begann also zwischen den beiden die beliebte stumme Korrespondenz, die ihr kennt, und von Tag zu Tag legte die Advokatin einen größeren Staat an für die Messe in der Kirche Saint-Jehan, wo sie nicht einen Augenblick mehr an den lieben Gott

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