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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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würden, sie zu erretten. Hiernach sollte sie sich für den Rest ihrer Tage in ein Kloster zurückziehen, nachdem sie vorher, um den bösen Zungen das Maul zu stopfen, all ihr Gut dem Kapitel von St-Martin vermacht habe. Auf diese Weise sollte die süßeste Menschenblume, die je auf dieser Erde erblüht war, daß sie selbst ihre Verfolger verzauberte, und die allein aus allzu großer Schwäche und aus Mitleid gegen die Liebesschmerzen ihrer Verehrer gesündigt hatte, vorm Holzstoß bewahrt bleiben und an Leib und Seele gerettet werden.
    Aber jetzt mischte sich der leibhaftige Teufel in der Gestalt eines Mönchs in diese Angelegenheit. Dieser, mit Namen Jan van dem Haag, hatte erfahren, daß das arme Weib in seinem Gefängnis mit der Ehrfurcht einer Königin behandelt wurde, und da er längst darauf ausging, die Tugend, Keuschheit und Ehrenhaftigkeit des Herrn Hieronymus Cornill aus böser Feindschaft zu verdächtigen, erhob er gegen den geistlichen Richter den öffentlichen Vorwurf, die Angeklagte zu begünstigen, weil er selber in ihre Netze und Fallstricke geraten und durch ihre Zauberkünste innerlich zum Jüngling und glücklichen Liebhaber umgeschaffen worden. Auf diese boshafte Verleumdung hin starb der edle Greis aus Kummer in Zeit von vierundzwanzig Stunden nicht ohne das Bewußtsein, daß Jan van dem Haag seinen Untergang geschworen hatte, um seines Amts und seiner Würden teilhaftig zu werden. Wirklich besuchte unser gnädiger Herr Erzbischof die Mohrin in ihrem Gefängnis und fand dieselbe ohne Ketten in einem anständigen Raum mit gutem Lager. Denn es war ihr gelungen, mit Hilfe eines Diamanten, den sie an einem Orte aufbewahrt hatte, wo ihn niemand vermutet und männiglich sich gewundert, wie er da habe festhalten können, die Gunst des Gefangenwärters zu erkaufen. Nach dem Reden der Leute soll dieser Kerkermeister sogar, entweder aus Liebe zu seiner Gefangenen oder aus Furcht vor den edlen Herren, deren Liebhabern, im geheimen ihre Flucht vorbereitet haben. Da nun der gute Hieronymus Cornill am Sterben lag, wußte Jan van dem Haag dem Kapitel einzureden, daß alle richterlichen Akte und Urteile des Oberrichters für null und nichtig zu erklären seien. Dazu sei erforderlich, so demonstrierte Jan van dem Haag, damals noch ein simpler Vikar an der Kathedrale, daß der Sterbende eine öffentliche Beichte ablege auf seinem Totenbett.
    Wurde also der gute Herr Hieronymus Cornill auf Betreiben des Jan van dem Haag durch die Herren vom Kapitel zu St-Martin und zu St-Marmoustiers, durch den Herrn Erzbischof und den päpstlichen Legaten, weil es der Vorteil der Kirche erheische, so lange gemartert und gequält, bis er nach langem Widerstreben mürbe wurde und sich zu der verlangten öffentlichen Selbstanklage herbeiließ, der die angesehensten Leute der Stadt beiwohnten und die eine unbeschreibliche Bestürzung und Aufregung in der Stadt hervorrief. In allen Kirchen der Diözese wurden öffentliche Gebete und Bußandachten abgehalten, um diese Schmach und Schande abzuwaschen. Ein jeder glaubte schon den Teufel bei sich durch den Kamin einreiten zu sehen.
    Aber das Wahre an der Sache ist, daß mein guter Herr Hieronymus in wilden Fieberphantasien lag und auf diese Weise das falsche Geständnis von ihm erpreßt wurde. Nachdem der Fieberanfall vorüber war und der heilige Mann von mir den üblen Handel erfuhr, vergoß er bittere Tränen. Er starb in meinen Armen in Gegenwart seines Arztes, ganz in Verzweiflung über diesen teuflischen Mummenschanz, und seine letzten Worte lauteten, daß er sich vor dem Throne des Ewigen niederwerfen und Gott anflehen wolle, eine solche unerhörte Ungerechtigkeit nicht geschehen zu lassen. Die arme Mohrin hatte sein Herz durch ihre Tränen und durch ihre Reue sehr gerührt; in ihrer Beichte, die sie ihm vor ihrer Berufung auf ein Gottesurteil abgelegt, hatte sie ihre himmlisch reine Seele, die ihren Körper bewohnte, ganz vor ihm entblößt, und er sprach von dieser Seele als einem Diamanten, der würdig sei, nach beendigter zeitlicher Buße im Jenseits die Krone Gottes zu schmücken.
    Als ich nun, mein lieber Sohn, durch das Gerede der Leute und die Aussagen des Sterbenden eingeweiht in das verruchte Treiben, sah, wie die Sachen standen, schützte ich auf Anraten des François de Hangest, des oft genannten Meisters Medicus unsers Kapitels, eine Krankheit vor und verließ den Dienst an der Kathedrale von St.-Maurice, um nicht meine Hand in unschuldiges Blut tauchen zu müssen, das

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