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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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»Wohl gefalle ich vielen auf den ersten Blick, aber dann gehen sie wieder ihrer Wege.«
    »Und hast du noch nicht daran gedacht, zu Pferd mit einem Geliebten aus dem Gebiet der Abtei zu entfliehen?«
    »O ja, edler Herr, aber wenn man mich einfinge, wäre der Galgen das wenigste, was mich erwartete, und ein so großer Herr mein Geliebter sein möchte, er würde seine Güter und alles verlieren. Soviel bin ich doch nicht wert. Der Herr Abt hat lange Arme, da wären meine Füße nicht schnell genug. Also lebe ich denn in demütiger Unterwerfung unter den Willen Gottes, der mich an diesen Ort gepflanzt hat und nicht anderswohin.«
    »Und was treibt Euer Vater?«
    »Er besorgt die Weinberge und Gärten der Abtei.«
    »Und Eure Mutter?«
    »Sie wäscht im Kloster.«
    »Du hast mir noch nicht deinen Namen gesagt.«
    »Ich habe keinen Namen, edler Herr. Mein Vater ist in der Taufe Estienne genannt worden, meine Mutter heißen sie auch nicht anders als die Estienne. Und mich nennen sie Tinette, Euch zu dienen.«
    »Mein Liebchen«, sprach der Goldschmied, »noch nie hat mir ein Mädchen so gefallen, wie du mir gefällst, und trotz deiner Armut vermute ich unermeßliche Reichtümer bei dir. Und nun hat dich der liebe Gott mir gerade vor die Augen gestellt, wo ich in meinem Herzen beschloß, mir eine Frau zu nehmen; ich sehe darin einen Wink des Himmels, und wenn ich dir nicht mißfalle, so will ich dein Freund und dein Beschützer sein.«
    Das Mädchen schlug von neuem die Augen nieder. Der Goldschmied hatte seine Rede in einem so ernsten und aufrichtigen Ton vorgetragen, daß das arme Ding seine Tränen nicht zurückzuhalten vermochte.
    »Nein, edler Herr«, antwortete sie, »das wäre Euer Unglück, und wie soll das alles ein armes leibeigenes Mädchen verantworten?«
    »Oho!« rief Meister Anselm, »ich sehe wohl, mein Kind, du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast.«
    Der Tourainer bezeichnete sich mit dem Zeichen des Kreuzes, faltete die Hände und sprach: »Vor dem großen heiligen Eligius, dem Patron und Beschützer der Goldschmiede, tue ich hier feierlich das Gelübde: Ich will von vergoldetem Silber zwei Gehäuse machen, so reich mit Verzierungen geschmückt, als es mir nur möglich ist, das eine für eine Statue Unsrer Lieben Frau, zum ewigen Dank für die Freiheit meines Gemahls, das andre für den genannten Patron und Schutzheiligen, daß er mir seine Unterstützung verleihe in meinem Unternehmen, nämlich in der Freimachung der hier gegenwärtigen leibeigenen Tinette. Ich schwöre außerdem bei meinem eigenen ewigen Heil, dieses Ziel mit Mut und Ausdauer zu verfolgen, mein ganzes Vermögen draufzuwenden und nicht davon abzustehen, es sei denn, daß der Tod selber mich abruft. Des ruf ich Gott zum Zeugen an. Hast du mich verstanden, Liebchen?« sprach er, indem er sich gegen das Mädchen wandte.
    »Ach, edler Herr«, rief sie weinend zu seinen Füßen, »seht Ihr meine Kuh? Sie ist mir ausgerissen. Ich will Euch lieben mein Leben lang, aber nehmt Euer Gelübde zurück.«
    »Komm, fangen wir die Kuh«, erwiderte der Goldschmied, indem er das Mädchen aufhob, aber ohne sie zu küssen, was sie doch wahrscheinlich nicht übelgenommen hätte.
    »Ihr habt recht«, sagte sie, »wenn die Kuh davonläuft, werde ich geschlagen.«
    Und eiligst lief der Goldschmied hinter der verfluchten Kuh her, die sich bei den Liebesgesprächen offenbar gelangweilt hatte; aber bald wurde sie an den Hörnern gefaßt, und nicht viel fehlte, daß der Tourainer sie wie einen Ball in die Luft warf aus lauter Freude und Jubel.
    »Und nun behüt dich Gott, meine Freundin. Wenn du in die Stadt kommst, besuche mich in meiner Wohnung, nahe bei der Kirche von Saint-Leu, ich heiße Meister Anselm und bin Goldschmied unsres gnädigen Herrn, des Königs, wie einst der heilige Eligius. Versprich mir vor allem, den nächsten Sonntag wieder hier zu sein, du darfst das nicht versäumen und wenn es Hellebarden hageln sollte.«
    »O Herr, für Euch würde ich über Gräben und Hecken springen; aus Dankbarkeit möchte ich Euch gehören ohne Rückhalt, und lieber wollte ich auf mein zukünftiges Glück verzichten, als daß Ihr die geringste Beschwerde haben solltet. Unterdessen will ich täglich für Euch beten aus allen meinen Kräften.«
    Unbeweglich stand sie da, anzusehen wie ein gemaltes Heiligenbild, und schaute unverwandt dem Meister nach, der sich langsamen Schrittes entfernte, indem er sich von Zeit zu Zeit gegen sie umwandte und ihr freundlich

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