Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
zuwinkte. Auch als der Meister ihr längst aus den Augen war, stand sie immer noch so, ganz verloren in Gedanken, bis die Nacht hereinbrach, und es war ihr, als ob sie das alles nur geträumt hätte. So geschah es, daß sie viel zu spät nach Hause kam. Wegen dieser Verspätung wurde sie geschlagen, aber sie spürte die Schläge nicht.
Der gute Meister verlor Hunger und Durst, er schloß seine Bude und dachte an nichts als an das Mädchen. Wo er stand und ging, hörte und sah er nichts andres.
Am dritten Tage machte er sich auf nach der Abtei und konnte es nicht erwarten, mit dem Abt zu sprechen. Es war ihm ein wenig schwer ums Herz. Da unterwegs hatte er den klugen Einfall, er wolle sich unter den Schutz des Königs stellen, und also richtete er seine Schritte nach der königlichen Hofhaltung, die sich gerade in der Stadt befand. Wegen seines klugen Betragens war er von jedermann geachtet und war hochgeschätzt und beliebt um seiner köstlichen Arbeiten willen; auch fügte es sein Geschick, daß er noch jüngst dem Kämmerer des Königs für seine Dame eine äußerst zierliche Büchse oder Schatulle von Gold und edlem Gestein gemacht hatte, davon der Kämmerer und seine Freundin in höchstes Entzücken geraten waren. Versprach demnach dieser hohe Beamte des Königs dem Goldschmied ungesäumt Hilfe und Beistand. Er ließ sofort sein Pferd satteln, auch eines für den Goldschmied, ein recht frommes und zahmes, und also hoch zu Roß kamen sie zur Abtei des heiligen Germain und fragten nach dem Abt.
Das war Monsignore Hugo von Sennecterre, ein Greis von dreiundneunzig Jahren. Ihn bat der Kämmerer, daß er ihm die Erfüllung eines Wunsches zusage, der leicht zu gewähren sei und womit ihm eine große Gnade geschehe. Der Goldschmied aber wagte unterdessen nicht zu atmen vor Erwartung und Bangigkeit. Jedoch der Abt schüttelte den Kopf und antwortete ernst, daß ihm durch die kanonischen Gesetze aufs strengste verboten sei, etwas im voraus zu versprechen und sein Wort zu verpfänden.
»Wisset also, ehrwürdiger Vater«, sprach der Kämmerer, »daß dieser Meister, Goldschmied unsres gnädigen Herrn, des Königs, eine große Liebe zu einem leibeigenen Mädchen gefaßt hat, das der Abtei angehört, und ich bin gekommen, Euch zu bitten, die Freilassung dieses Mädchens zu gewähren, wogegen ich meinerseits Euch jeden Wunsch, soweit es in meiner Gewalt steht, zu erfüllen willens und bereit bin.«
»Wer ist das Mädchen?« fragte der Abt den Goldschmied.
»Sie heißt Tinette mit Namen«, sprach schüchtern der Meister.
»Oho!« rief der Abt lächelnd, »so hat also kein schlechter Gründling in den Köder gebissen. Der Fall ist ernst, ich kann ihn nicht allein entscheiden.«
Aber der Kämmerer runzelte die Stirne:
»Was eine solche Rede heißen will, ehrwürdiger Vater, können wir uns wohl denken.«
»Gut«, erwiderte der Abt; »aber wißt Ihr auch, mein Herr, was das Mädchen wert ist?«
Der Abt gab Befehl, daß man Tinette herbeirufe. Er sagte dem Schreiber, daß man sie zuvor aufs beste kleide und ihr Mut einrede, so gut man vermöge.
Der Kämmerer aber zog den Goldschmied auf die Seite.
»Freund«, sprach er, »ich fürchte Gefahr für Eure Liebe, ja, ich rate Euch, den phantastischen Plan ganz aufzugeben. Warum auch nur? Ihr könnt überall, sogar bei Hofe, junge und hübsche Frauen genug finden, die Euch gern heiraten, und wenn es nötig ist, wird Euch der König zu diesem Zweck einen Adelsbrief nicht verweigern, kraft dessen Ihr mit der Zeit zu Glanz und Ehren kommen möget. Wenn Ihr nur eine genügend große Truhe voll Taler habt, kann es Euch nicht fehlen.«
»Daran ist nicht zu denken, Herr«, antwortete Anselm; »ich habe ein Gelübde getan.«
»Gut denn, so kauft die Freilassung des Mädchens. Ich kenne die Mönche. Für Geld ist alles bei ihnen zu haben.«
»Hochwürdiger Herr«, sprach der Goldschmied, indem er sich dem Abt näherte, »Ihr habt Amt und Auftrag, auf Erden Gottes Güte und Barmherzigkeit vorzustellen, die für uns arme Menschen ein Hort unerschöpflicher Gnade sind. Ich will mein Leben lang jeden Abend und jeden Morgen Euch in mein Gebet einschließen und niemals vergessen, daß ich all mein Glück aus Eurer Hand empfangen habe, wenn Ihr mir behilflich sein wollt, daß ich dieses Mädchen in rechtmäßiger Ehe heiraten kann, ohne daß Ihr Anspruch erhebt auf die Dienstbarkeit der Kinder, die daraus entspringen. Zum Danke dafür will ich Euch eine Monstranz machen, so
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