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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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warf die ganze Mahlzeit in den Kamin.
    Berthe dankte der Heiligen Jungfrau, daß ihr Sohn so auf sein Spiel erpicht gewesen, und der Mönch, der sein altes Handwerk noch nicht verlernt hatte und den Kopf oben hielt, eilte in den Hof, riß seinen Sohn von dem Hengst herunter, gab dem Gaul die Sporen und raste mit solcher Schnelligkeit davon, daß ihr hättet glauben können, eine Sternschnuppe zu sehen. Bis aufs Blut spornte er seinen Hengst und erreichte in so kurzer Zeit, wie wenn der Teufel selber geritten, die Stadt Loches und das Haus der alten Fallotte. In zwei Worten teilte er ihr den Fall mit und bat sie um ein Gegengift, denn er fühlte, wie ihm die Würze des Ritters bereits in den Eingeweiden fraß.
    »Ach«, rief die Hexe, »hätte ich gewußt, daß das Gift für Euch bestimmt gewesen, so hätte ich lieber den Dolch verschluckt, mit dem man meine Kehle bedrohte, und hätte mein armes Leben gelassen, um einen Mann Gottes zu retten und die süßeste Frau, die je auf dieser Erde geblüht hat; denn seht, mein Freund, ich habe nur noch dieses Restchen Gegengift in der Flasche.«
    »Wird es hinreichen für sie?«
    »Ja, aber eilt!« rief die Alte.
    Der Mönch raste noch schneller zurück, als er gekommen. Im Schloßhof angekommen, brach der Hengst unter ihm zusammen. Er trat in Berthes Gemach, die ihre letzte Stunde gekommen glaubte und weinend ihr Kind liebkoste und küßte, das nun allein dem Grimme des Herrn von Bastarnay ausgeliefert war. Über der Vorstellung an dieses grausame Geschick vergaß die Arme ihre eignen Qualen.
    »Nimm dies«, rief der Mönch; »ich selber bin gerettet.«
    Dom Johannes hatte den Mut, diese Worte ohne Zucken einer Miene auszusprechen, trotzdem er die kalten Krallen des Tods schon in seinem Herzen spürte. Kaum hatte Berthe getrunken, als der Prior tot zu Boden fiel, nachdem er seinen Sohn geküßt und dabei seine Geliebte mit einem Blick umfaßte, der sich auch im Tod nicht zu verändern schien. Ihr Herz erstarrte bei diesem Anblick. Sie blieb unbeweglich vor dem Leichnam, der zu ihren Füßen ausgestreckt lag. Dann drückte sie ihrem weinenden Knaben die Hand, während ihr eignes Auge trocken blieb wie das Rote Meer, als die Israeliten unter der Führung ihres Herzogs Moses ihren Durchzug nahmen. Der armen Frau schien es, als ob sie anstatt Tränen heiße Sandkörner unter den Wimpern hätte. Betet für sie, barmherzige Seelen, keine Frau hat je so viel gelitten bei dem Gedanken, daß ihr Freund um ihretwillen in den Tod gegangen. Mit Hilfe ihres Sohns bahrte sie selber den Mönch in einem Bette auf und kniete mit dem Knaben, dem sie sagte, daß dies sein eigner Vater war, betend zu seinen Füßen nieder. So erwartete sie die schwere Stunde.

     
    Diese ließ nicht auf sich warten. Gegen die elfte Stunde der Nacht kam Bastarnay zurück, und als er die Zugbrücke überschritten, sagte man ihm, daß der Mönch tot, die Herrin jedoch und ihr Sohn am Leben seien. Er sah seinen schönen Hengst am Boden liegen, und von einer wilden Wut gepackt, Mutter und Sohn dem Mönch nachzuschicken, sprang er die Stufen der Treppe mit einem Satze hinauf. Beim Anblick des Toten, für dessen Seele die beiden, ohne sich zu unterbrechen, Gebete murmelten, fand der Ritter nicht mehr den Mut, seinen blutigen Vorsatz auszuführen. Nachdem seine erste Wut verraucht war, wußte er nichts zu tun, als ratlos im Gemach auf und ab zu gehen. Es überkam ihn das Gefühl, als ob er der einzig Schuldige wäre, und er wurde ganz kleinlaut bei den unaufhörlich gebeteten Litaneien für die Seele des Mönchs.
    Die Nacht ging in Tränen, Seufzern und Gebeten dahin. Auf Befehl der Herrin mußte ihre Zofe in der Stadt Loches ein Gewand, wie es die Edelfrauen auf der Reise tragen, und für ihren Sohn ein Pferd und ritterliche Waffen besorgen. Darüber verwunderte sich der Herr von Bastarnay nicht wenig. Er schickte nach seiner Frau und seinem Sohn, die ihm keine Antwort gaben, sondern sich stumm mit den von der Zofe gekauften Gewändern bekleideten. Nach Berthes Weisung mußte die Zofe über den ganzen Besitz ihrer Gebieterin, Kleider, Perlen, Diamanten und alles, Rechenschaft aufstellen und dem Gemahl hinterlegen wie bei feierlicher Verzichtleistung einer Witwe auf ihr Erbrecht. Um die Zeremonie vollkommen zu machen, wurde sogar auf Berthes Befehl der Inhalt ihrer Almosentasche dem übrigen hinzugefügt.
    Das Gerücht über diese Vorbereitungen ging wie ein Lauffeuer durch das Schloß. Ein jeder sah, daß die edle Dame

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