Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
und ihre Seelen in einshin auszuhauchen; aber sie überlebten sogar unzählbare Wiederholungen ihrer Zärtlichkeiten.
Am andern Morgen mußte sich Fräulein Sylvia, da die Ankunft des Herrn von Bastarnay nahe bevorstand, von Berthe verabschieden. Das arme Mädchen fiel ihrer Muhme mit Tränen um den Hals. Jeder Kuß sollte ihr letzter sein, und der letzte dauerte bis zur Vesperstunde. Dann mußte sie sich losreißen, trotzdem ihr Herzblut zu erstarren schien, gleich dem Wachs, das von einer Osterkerze träufelt. Seinem Versprechen gemäß begab sich Jehan nach Marmoustiers und ließ sich dort unter die Novizen einreihen. Dem Herrn von Bastarnay aber teilte man mit, daß Sylvia in die Arme ihres ›Lords‹ zurückgekehrt sei, was soviel bedeutete wie in die Arme des ›Herrn‹ und also nicht einmal eine Lüge war.
Berthes Schwangerschaft zeigte sich bereits so weit vorgeschritten, daß sie ohne Gürtel ging, und die Freude ihres Gemahls über ihren Zustand war der Anfang ihres Martyriums. Denn das Lügen wurde ihr sehr schwer, und nach jedem unwahren Wort eilte sie zu ihrem Betstuhl, weinte sich ihr Herzblut aus der Seele und betete inbrünstig zu allen Heiligen des Paradieses. Sie rief laut um Erbarmen zu Gott, und siehe, er hörte sie; denn er ist der Herr, der Allsehende und Allhörende, vor dessen Ohr alles dringt, das Rollen des Sandkorns im Ozean wie jede Klage, die ein Armer zu ihm emporschickt. Wenn ihr aber das Glück und die Stärke eines solchen Glaubens entbehren solltet, werdet ihr, was ich jetzt erzähle, für unmöglich halten.
Gott befahl also dem Erzengel Michael, dieser bußfertigen Sünderin schon auf Erden die Hölle zu bereiten, damit sie nachher ungehindert ins Paradies eingehen könne. Der heilige Michael begab sich hierauf an das Höllentor und überantwortete dem Fürsten Satan für die Dauer dieses Lebens alle drei Seelen, die der Mutter, des Vaters und des Kindes, indem er ihm Vollmacht gab, dieselben während dieses Erdendaseins durch alle menschliche Drangsal zu schleifen, sie zu ängstigen mit jeder Angst, sie zu martern mit jeder Marter. Und der Teufel, der nach dem Willen Gottes der Herr über das Böse ist, antwortete dem Erzengel, daß er sich des Auftrags gern entledigen wolle.
Während der Ausführung des göttlichen Befehls ging auf Erden das Leben seinen Gang. Die edle Dame von Bastarnay schenkte dem Herrn Imbert das schönste Kind der Welt, einen Knaben wie aus Milch und Blut, voll Geist und Verstand wie ein kleiner Jesusknabe, lachend und voll Tollheiten wie ein heidnischer Liebesgott, immer schöner werdend von Tag zu Tag. Die glänzenden körperlichen und geistigen Eigenschaften seiner Eltern hatten bei ihm eine Mischung von wunderbar scharfem Verstand und holdester Grazie hervorgebracht, während sein älterer Bruder seinem Vater nachschlug, dem er zum Erschrecken ähnlich wurde. Der alte Bastarnay, der dieses Wunder von Schönheit und Geist täglich wie ein himmlisches Mirakel anstaunte, hätte gern seine ewige Seligkeit darangegeben, um dem jüngeren die Rechte der Erstgeburt zu verschaffen, und er hoffte dies durch die Protektion des Königs wirklich zu erreichen. Berthe wußte nicht, wie sie sich zu der Sache stellen sollte. Sie vergötterte das Kind des Geliebten, während sie ihren Erstgeborenen nur mäßig lieben konnte; aber trotzdem verteidigte sie diesen gegen die üblen Absichten seines Vaters. Sie war nicht unzufrieden mit dem Lauf der Dinge und überredete sich gern, ihr Gewissen betäubend, daß die Sachen so bleiben würden, wie sie jetzt standen, da inzwischen zwölf Jahre verflossen waren, ohne daß ihre Freude durch anderes als Zweifel und Furcht getrübt wurde. Einmal jedes Jahr erschien, wie vereinbart, der Mönch von Marmoustiers, den niemand kannte als die Kammerzofe, auf einen ganzen Tag auf dem Schlosse, um seinen Sohn zu sehen, trotzdem Berthe den Bruder Johannes schon mehrere Male gebeten hatte, auf sein Recht zu verzichten. Aber der Mönch deutete auf das Kind und sagte: »Du siehst ihn alle Tage des Jahrs und ich nur einen einzigen!«
Da fand die arme Mutter kein Wort der Erwiderung.
Einige Monate vor der letzten Empörung des Herrn Ludwig gegen seinen Vater, den König, entschloß sich der alte Bastarnay in seinem Vaterstolz, seinen jüngeren Sohn, der gerade sein zwölftes Jahr erreicht hatte und so gelehrt war, daß er einmal eine Leuchte der Wissenschaft zu werden versprach, mit sich an den Hof von Burgund zu führen, wo er hoffen
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