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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sie verlassen wolle, was alle Herzen zur Trauer stimmte; selbst ein kleiner Küchenjunge, der erst seit einer Woche im Schlosse weilte, weinte bitterlich, hatte ihm die Herrin doch auch schon ein gütiges Wort gesagt.

     
    Entsetzt über diese Anstalten, begab sich Bastarnay in das Zimmer seiner Frau, wo er sie weinend über der Leiche ihres Freundes fand. Denn jetzt hatte sie ihre Tränen wiedergefunden. Als sie ihren Gemahl erblickte, trocknete sie ihre Augen. Auf seine Fragen antwortete sie kurz mit dem Geständnis ihrer Schuld. Sie erzählte ihm, wie sie sich hatte täuschen lassen; wie der arme Page sich habe töten wollen (hier zeigte sie die Wunde auf dessen Brust); wie seine Heilung lange gedauert; wie er sich dann aus Gehorsam gegen ihren Wunsch und aus reuiger Bußfertigkeit vor Gott und den Menschen in ein geistliches Gewand gehüllt, indem er, seine ritterliche Laufbahn verlassend, auf die Fortdauer seines Namens verzichtet, was gewiß eine härtere Buße sei als der Tod. Darum habe sie gedacht, Gott selber möchte dem Mönch nicht verweigert haben, seinen Sohn, für den er alles hingeopfert, einmal im Jahr zu sehen. Dann erklärte sie, daß sie nicht mit einem Mörder unter einem Dache wohnen könne und darum, nachdem sie sich all ihres Eigentums begeben, sein Haus verlassen werde; daß es nicht ihre, sondern seine Schuld sei, wenn die Ehre derer von Bastarnay einen Makel erlitten, da es ihre beste Absicht war, alles zum Guten zu führen; endlich, daß sie das Gelübde getan, mit ihrem Sohn über Täler und Berge zu pilgern, bis all ihre Schuld vollkommen getilgt wäre. Sie hatte aber ihre eignen geheimen Gedanken darüber, wie sie ihre Sühne zu erlangen und Genugtuung zu leisten hoffte.
    Nachdem sie mit einem edlen Ausdruck in ihrem bleichen Gesichte diese schönen Worte gesprochen, nahm sie ihren Sohn bei der Hand, und schöner und stolzer in ihrem Schmerz als die Dame Hagar beim Abschied vom Patriarchen Abraham, verließ sie das Schloß, also daß bei ihrem Anblick alles mit gefalteten Händen in die Knie fiel, wie wenn es Unsre Liebe Frau selber gewesen wäre. Es war ein Anblick zum Erbarmen, wie der alte Herr von Bastarnay, der Größe seiner Schuld bewußt, ihr kläglich und unter Tränen folgte, wie ein Verbrecher, der zum Schafott geführt werden soll.
    Berthe hörte nicht auf ihn. In der allgemeinen Ratlosigkeit war vergessen worden, die Hängebrücke aufzuziehen, so sehr hatte alles den Kopf verloren, und in Angst, daß man das Versäumte nachholen könne, überschritt die Schloßherrin in fast hastiger Eile den luftigen Steg. Am Rand des Burggrabens setzte sie sich nieder, angesichts der ganzen Einwohnerschaft des Schlosses, die sie alle unter Tränen anflehten, zu bleiben. Der arme Herr von Bastarnay stand da, die Hand auf der Kette der Zugbrücke, stumm und starr wie einer der steinernen Heiligen am Portal der Burgkapelle; er sah, wie Berthe ihrem Sohn befahl, den Staub von seinen Schuhen zu schütteln, damit er nichts von denen von Bastarnay mit sich trage, und wie sie selber seinem Beispiel folgte. Dann zeigte sie mit einer langsamen Bewegung ihrer Hand auf den Grafen und sprach also:
    »Mein Kind, sieh hier den Mörder deines Vaters, als welches der arme Prior war, wie du weißt; du hast bis jetzt den Namen jenes Mannes dort getragen, du wirst ihn zurückgeben, gleichwie du hier den Staub des Schlosses von deinen Schuhen schüttelst. Was du an Nahrung und Kleidung dem Grafen schuldig geworden bist, diese Rechnung auszugleichen werden wir mit Gottes Hilfe Mittel und Wege finden.«

     
    Bei diesen feierlichen Worten ward der alte Herr so erschüttert, daß er seiner Frau ein ganzes Kloster von Mönchen geschenkt haben würde, nur um nicht von ihr und ihrem jungen Sohne, der der Stolz seines Hauses war, verlassen zu werden.
    »Bist du nun zufrieden, Teufel?« rief Berthe, die trotz dieser Anrufung nicht ahnte, welche wichtige Rolle der Herr Satan in der ganzen Angelegenheit gespielt hatte. »So will ich jetzt auf den Beistand Gottes, der Heiligen und Erzengel hoffen, zu denen ich so inbrünstig gebetet habe.«
    Berthes Herz wurde, plötzlich wunderbar getröstet, da gerade jetzt mit wehenden Fahnen an der Biegung eines fernen Feldwegs ein langer Zug der Brüder vom Kloster von Marmoustiers erschien, deren geistliche Lieder ihr wie himmlische Gesänge im Ohr klangen. Die Mönche, von dem Mord ihres vielgeliebten Priors unterrichtet, kamen, begleitet von der kirchlichen Justiz, um seinen

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