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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Magd, »ich will noch vor meiner Abendsuppe die Sache klargestellt haben; geh rasch und hole mir einen Aktenstecher nebst einer roten Schnur, womit man die Aktenbündel zu verschnüren pflegt.«
    Brachte also Jacqueline eine Art Ahle mit einer wohlgeformten Öse und einen dicken roten Faden, wie man ihn auf allen Gerichtsstuben findet. Und sie wie die schöne Wäscherin waren nicht wenig begierig, was diese mystagorischen Vorbereitungen und richterlicher Hokuspokus zu bedeuten hätten.
    »Meine Schöne«, sprach der Richter, »ich werde jetzt den Aktenstecher halten, dessen Öhre oder Öse weit genug ist, um das Ende der Schnur in sich aufzunehmen. Wenn dir die Einfädelung gelingt, will ich deine Klage annehmen und den Junker zu einem Kompromiß bringen, mit dem du zufrieden sein sollst.«
    »Was ist das, ein Kompromiß?« fragte sie; »ich weiß nicht, ob ich mich darauf einlassen kann.«
    »Das ist ein justizisches Wort und bedeutet soviel wie Vergleich; ist es jetzt klar?«
    »Ja.«
    »Nun, siehst du, die Vergewaltigung hat dir auch den Verstand aufgeschlossen.«
    Dann hielt der verschmitzte Richter ihr das Loch der Nadel hin, und nachdem sie das Trumm des Fadens zwischen zwei Fingern ein wenig gedrillt hatte, begann sie ihre Versuche. Aber sooft sie mit ihrer gesteiften Fadenspitze dem Öhr der Ahle nahe kam, machte die Hand des Richters einen Ruck, und das Fadentrumm verfehlte das Loch. Wie sie auch die Finger leckte und den Faden steifte und spitzte, all ihre Mühe blieb vergeblich, die Hand des Richters hielt ihr nicht stand. Diese Hand der Justiz machte jetzt einen Ruck nach links, dann einen nach rechts, bewegte sich jetzt vorwärts, dann rückwärts, kurz, war unruhig und aufgeregt wie ein Mädchen, das möchte und nicht wagt. Und also keine Möglichkeit einer Ehe zwischen dem Faden und der Ahle, die jungfräulich blieb, wie auch das Mädchen sich anstrengte.
    Da konnte die Magd des Richters ihr Lachen nicht zurückhalten.
    »Es scheint«, sagte sie, »daß Ihr es besser versteht, vergewaltigt zu werden, als zu vergewaltigen.«
    Darüber mußte der Richter lachen, dem Mädchen von Portillon aber traten die Tränen in die Augen vor Zorn und Ärger, sie gab ihre Goldgulden bereits verloren.
    »Natürlich«, sagte sie unter Flennen, »wenn Ihr absichtlich nicht still haltet, wenn Ihr immer ausweicht, kann ich in alle Ewigkeit den Faden nicht in die Öse bringen.«
    »Siehst du, meine Tochter, du hättest tun sollen wie ich, dann würde dich der Herr Kämmerer in alle Ewigkeit nicht genotzüchtigt haben, ganz abgesehen davon, daß diese Öse mehr als nötig weit ist, was man doch bei einer Jungfrau nicht voraussetzen darf.«
    Da wurde das Dirnchen, das sich einmal darauf versteift hatte, genotzüchtigt worden zu sein, nachdenklich und sann auf eine Methode, wie sie den Richter überführen und ihm augenscheinlich machen könne, welchergestalt sie sich genötigt gesehen, die Segel zu streichen und klein beizugeben. Sie mußte notwendig diesen Beweis erbringen; denn es ging wahrlich um die Ehre aller armen Dinger, die das schöne Talent hatten, sich notzüchtigen zu lassen.
    »Gestrenger Herr«, sagte sie, »um mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müßt Ihr verstatten, daß ich tue, wie der Herr Kämmerer mit mir getan. Wenn es bei ihm genügt hätte, einfach nicht still zu halten, so sollte selbst der liebe Gott mich nicht zum Stillhalten gebracht haben. Seine Gnaden haben andre Mittel angewandt, mich mürbe zu machen.«
    »Und die wären?« fragte der Richter.
    Da tunkte das Mädchen seinen Faden in das flüssige Wachs des Leuchters, daß er an einem Ende, das sie abermals zwischen den Fingern rieb, noch fester und steifer wurde als zuvor, und wie dann der Richter ihr wieder geschickt auswich, bald vorwärts, bald rückwärts, bald zur Rechten, bald zur Linken, bald nach oben, bald nach unten, brachte das Mädchen tausend Possen und Spaßreden vor: »Oh, das zierliche Öhr, das hübsche Öhr!« sagte sie. »Laß doch sehen, so eine niedliche Öse! So ein Kleinod! Nun, so halt doch einmal still, daß ich meinen armen Faden hineinbringe, meinen schönen roten Faden! Habt Ihr denn kein Mitleid mit dem armen Kerl? Hört doch, mein Richter, mein süßer Richter, mein goldiger Richter! Soll denn der tapfere Faden niemals durch das eiserne Tor eintreten, durch das enge schmale Pförtchen schlüpfen, das ihn übel zurichten wird? Denn wie wird der Arme den Kopf hängenlassen, wenn er wieder daraus

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