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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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lustigste Manier zum Hahnrei machte, wie es bereits in der Geschichte von der schönen Wäscherin erzählt worden ist. Daraus geht klar und deutlich hervor: daß man mit Geduld und Ausdauer sogar die Dame Justitia vergewaltigen kann.

     

Eine Historie, durch die bewiesen wird, dass das Glück immer ein Weibsen ist

     
    Zur Zeit, als die Ritter in Verfolgung des Glücks sich noch gegenseitig Hilfe und Beistand leisteten, ereignete es sich eines Tags in Sizilien, als welches, wenn ihr es nicht wissen solltet, eine ehemals berühmte Insel irgendwo im Mittelländischen Meer ist, daß dort in einer wilden Gegend ein Ritter einem andern Ritter begegnete, der das Aussehen eines Franzosen hatte. Dieser Franke schien in einer recht Übeln Lage zu sein; er war sonder Pferd, Schildträger und Gefolge, auch in seinem Äußern so übel zugerichtet, daß man ihn ohne seine fürstliche Miene für einen Strauchdieb gehalten haben würde. Wahrscheinlich war sein Pferd vor Hunger oder Ermüdung schon jenseits des Meeres umgekommen, und er selber mochte auf Sizilien gelandet sein, weil man sich damals viel von fränkischen Rittern erzählte, die auf dieser Insel in jedem Sinn ihr Glück gemacht hatten. Der andre, namens Pezzara, war ein Venezianer, der seit langer Zeit die Republik verlassen und, da er am sizilianischen Hofe wohlgelitten war, nicht daran dachte, so bald wieder in sein Vaterland zurückzukehren, wo er als nachgeborener Sohn und ohne Sinn für Handelsgeschäfte nur eine traurige Rolle gespielt haben würde, weshalb er seine Familie trotz ihrer Berühmtheit aufgegeben hatte, um an diesen Hof zu kommen, wo er in hohem Grad die Gunst des Königs gewann. Dieser Venezianer ritt auf einem spanischen Hengst und dachte gerade darüber nach, wie einsam er im Grunde sei an dem fremden Hofe, wo er sich auf keinen einzigen Freund mit Sicherheit verlassen konnte. In diesen Gedanken, die ihn fast melancholisch machten, weil das Glück an dem Einsamen gern zum Verräter wird, sah er den fränkischen Junker auf sich zukommen, als welcher noch ärmer und verlassener aussah denn er, der in blinkenden Waffen auf einem schönen Pferde ritt und dessen Diener in der Herberge ein ausgezeichnetes Abendmahl für ihn bereitete.

     
    »Ihr scheint weit herzukommen«, redete er den Franzosen an, »denn Ihr habt unmäßig verstaubte Füße.«
    »Meine Füße tragen lange nicht den Staub all der Straßen, die ich gewandert bin«, entgegnete der Franke.
    »Wenn Ihr so weit in der Welt umhergekommen seid, müßt Ihr viel gelernt und erfahren haben.«
    »Ich habe gelernt«, antwortete der andre, »mich den Kuckuck um die zu kümmern, die sich nicht um mich kümmern. Ich habe ferner gelernt, daß auch die Füße derer, die mit ihrem Kopf den meinigen überragen, mit mir auf gleichem Boden stehen. Überdies hab ich noch gelernt, mich niemals auf drei Dinge zu verlassen: auf das warme Wetter im Winter, den Schlaf meiner Feinde und die Worte meiner Freunde.«
    »Ihr seid also reicher als ich«, antwortete verwundert der Venezianer, »denn Ihr sprecht eine Weisheit aus, an die ich nie gedacht hatte.«
    »Jeder hat so seine Gedanken«, sprach der fränkische Mann. »Aber da Ihr mich angeredet habt, darf ich Euch wohl um die Gefälligkeit ersuchen, mir den Weg nach Palermo oder eine Herberge zu weisen, denn der Tag neigt sich.«
    »Kennt Ihr keinen fränkischen oder sizilianischen Herrn in Palermo?«
    »Nein.«
    »So seid Ihr also nicht sicher, daß man Euch einläßt?« »Ich bin in der Verfassung, denen zu verzeihen, die mich zurückstoßen. Den Weg, mein Herr.«
    »Ich bin verirrt wie Ihr«, sprach der Venezianer, »suchen wir zusammen.«
    »Zu diesem Zweck müßten wir zusammen gehen; aber Ihr seid zu Pferd und ich zu Fuß.«
    Lud also der Venezianer den fränkischen Edelmann ein, hinter ihm auf sein Pferd zu steigen.
    »Ratet Ihr wohl, mit wem Ihr es zu tun habt?« fragte er.
    »Mit einem Manne, dem Anschein nach.«
    »Und glaubt Ihr in Sicherheit zu sein bei mir?«
    »Wenn Ihr zur Zunft der Strolche gehören solltet, um so schlimmer für Euch!« antwortete der Franzose, indem er dem Venezianer seinen Dolchgriff auf die Brust setzte.

     
    »Nun denn, mein Herr Franzose, Ihr scheint mir ein Mann zu sein von hoher Weisheit und großem Verstand. Wisset, daß ich als Fremder am Hofe von Sizilien lebe und mir nichts so sehnlich wünsche wie einen treuen Freund. Und Ihr, wenn mich nicht alles täuscht, scheint mir erst recht des Beistands

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