Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
die Brust. Er blickte lediglich darauf hinunter und zog ihn langsam heraus. Galand lief herbei, gerade als der Tote Rayvan erreichte. Als er das Messer zückte, holte Galand aus, und der Messerarm flog abgetrennt vom Körper. Der Leichnam taumelte … und stürzte.
»Die wollen dich aber wirklich unbedingt tot sehen«, sagte Galand.
»Sie wollen uns alle tot sehen«, erwiderte Rayvan.
»Morgen wird ihr Wunsch in Erfüllung gehen«, meinte er.
Valtaya hatte die Schnittwunde an Rayvans Hüfte mit neun Stichen genäht. Jetzt schmierte sie eine dicke Salbe über die Wunden.
»Damit es keine häßlichen Narben gibt«, erklärte Valtaya.
»Das spielt bei mir keine Rolle mehr«, meinte Rayvan. »Wenn du erst einmal in meinem Alter bist, bemerkt kein Mensch mehr eine Narbe auf der Hüfte – verstehst du, was ich meine?«
»Unsinn. Du bist eine gutaussehende Frau.«
»Eben. Es gibt kaum Männer, die eine gutaussehende Frau bemerken. Du bist Schwarzmaskes Geliebte, nicht wahr?«
»Ja.«
»Kennst du ihn schon lange?«
»Nein, nicht lange. Er hat mir das Leben gerettet.«
»Ich verstehe.«
»Was verstehst du?«
»Du bist ein nettes Mädchen, aber vielleicht nimmst du deine Schulden ein bißchen zu ernst.«
Valtaya setzte sich neben das Bett und rieb sich die Augen. Sie war zu müde, zu müde zum Schlafen.
»Urteilst du immer so rasch über Leute, denen du begegnest?«
»Nein«, sagte Rayvan und setzte sich vorsichtig auf. Sie spürte, wie die Nähte zogen. »Aber Liebe steht in den Augen geschrieben, und eine Frau weiß, wenn eine andere Frau verliebt ist. Als ich dich nach Schwarzmaske fragte, hast du mir deine Traurigkeit gezeigt. Und dann sagtest du, er hätte dir das Leben gerettet. Es war nicht schwer, den offensichtlichen Schluß daraus zu ziehen.«
»Ist es so falsch, jemandem etwas zurückzahlen zu wollen?«
»Nein, das ist nicht falsch – vor allem jetzt nicht. Jedenfalls ist er ein guter Mann.«
»Ich habe ihm weh getan«, sagte Valtaya. »Ich wollte es nicht, ich war müde. Meist versuche ich, sein Gesicht nicht zu beachten, aber ich habe ihn gebeten, die Maske wieder aufzusetzen.«
»Lake hat ihn einmal ganz kurz ohne Maske gesehen. Er sagte, Ananais’ Gesicht wäre grauenhaft entstellt.«
»Er hat kein Gesicht«, sagte Valtaya. »Die Nase und die Oberlippe sind abgerissen, und die Wangen bestehen nur noch aus Narbengewebe. Eine Narbe will nicht heilen und eitert. Es ist entsetzlich. Er sieht aus wie ein Toter. Ich habe versucht … ich kann nicht …«
»Denk nicht zu schlecht von dir, Mädchen«, sagte Rayvan sanft, beugte sich vor und tätschelte Valtaya den Rücken. »Du hast es versucht
.
Die meisten Frauen hätten nicht einmal das getan.«
»Ich schäme mich so. Ich habe ihm einmal gesagt, ein Gesicht macht keinen Mann aus. Er war der Mann, den ich zu lieben versuchte, aber sein Gesicht … verfolgt mich.«
»Du hattest recht! Die Antwort liegt in deinen Worten – der Mann, den du versucht hast zu lieben. Du hast zuviel von dir verlangt.«
»Aber er ist so edel und … so tragisch. Er war der Goldene … er hatte alles.«
»Ja. Und er war eitel.«
»Woher willst du das wissen?«
»Das ist nicht schwer. Denk doch mal an seine Geschichte: Der reiche junge Patrizier, der General beim Drachen wurde. Aber was geschah dann? Er hat sich an den Spielen in der Arena beteiligt und dort Menschen getötet, um die Massen zu unterhalten. Viele Männer, gegen die er kämpfte, waren Gefangene, gezwungen zu kämpfen und zu sterben. Sie hatten keine Wahl. Er schon! Aber er konnte nicht ohne den Beifall leben. Darin liegt nichts Edles. Männer? Was wissen sie schon? Sie werden nie erwachsen.«
»Du bist sehr hart zu ihm – er ist bereit, für dich zu sterben.«
»Nicht für mich. Für sich selbst. Er will Rache.«
»Das ist ungerecht!«
»Das Leben ist ungerecht«, sagte Rayvan. »Versteh mich nicht falsch. Ich mag ihn gern. Sehr gern sogar. Er ist ein guter Mann. Aber Männer kommen nicht einfach in zwei Kategorien daher, eine aus Gold, die andere aus Blei. Sie sind eine Mischung aus beidem.«
»Und was ist mit Frauen?« fragte Valtaya.
»Reines Gold, Mädchen«, antwortete Rayvan kichernd.
Valtaya lächelte.
»So ist es schon besser«, meinte Rayvan.
»Wie machst du das? Woher nimmst du diese Kraft?«
»Ich tue nur so.«
»Das kann nicht sein. Du hast heute die Flut gewendet – du warst großartig.«
»Das war leicht. Sie haben meinen Mann und meine Söhne getötet, und es gibt
Weitere Kostenlose Bücher