Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
kein Risiko ein.«
»Anscheinend müssen wir alle Bastarde für uns behalten«, mutmaßte Decado. »Ich sehe keine Anzeichen dafür, daß sie sich teilen.«
»Unser Glück!« sagte Ananais. »Von ihrem Standpunkt aus macht es jedoch Sinn. Es spielt keine Rolle, welche Mauer sie überwinden – eine reicht, dann sind wir am Ende.«
»Tenaka wird in fünf Tagen hier sein«, erinnerte Decado ihn.
»Wir werden nicht mehr da sein, um ihn zu sehen.«
»Vielleicht, Ananais …«
»Ja?«
»Es spielt keine Rolle. Wann, glaubst du, werden sie angreifen?«
»Komm schon! Was wolltest du eben sagen?«
»Nichts. Vergiß es.«
»Was ist los mit dir? Du siehst trauriger aus als eine kranke Kuh!«
Decado lachte gezwungen. »Ja – ich werde nicht nur älter, auch ernster. Es ist ja nicht so, als ob wir uns über irgend etwas Sorgen machen müßten – nur über zwanzigtausend Feinde und ein Rudel Höllenbiester.«
»Da hast du wohl recht«, stimmte Ananais ihm zu. »Aber ich wette, Tenaka macht sie verdammt schnell zu Kleinholz.«
»Das würde ich gerne sehen«, sagte Decado.
»Wenn Wünsche Meere wären, wären wir alle Fische«, sagte Ananais.
Der große Krieger ging davon und legte sich wieder ins Gras, um sein Nickerchen fortzusetzen. Decado setzte sich auf die Brüstung und beobachtete ihn.
War es klug, Ananais vorzuenthalten, daß Tenaka jetzt Khan des größten Feindes der Drenai war? Aber was wäre damit erreicht, es ihm zu sagen? Er vertraute Tenaka, und wenn ein Mann wie Ananais sein Vertrauen schenkte, war es härter geschmiedet als Silberstahl. Für Ananais wäre es unvorstellbar, daß Tenaka ihn verraten könnte.
Es war gnädig, ihn mit diesem unerschütterten Glauben sterben zu lassen.
Oder nicht?
Hatte ein Mann nicht das Recht, die Wahrheit zu erfahren?
»Decado!« rief eine Stimme in seinem Geist. Es war Acuas, und Decado schloß die Augen, um sich auf die Stimme zu konzentrieren.
»Ja?«
»Der Feind hat Tarsk erreicht. Keine Spur von den Bastarden.«
»Sie sind alle hier!«
»Dann werden wir zu euch kommen. Ja?«
»Ja«, antwortete Decado. Er hatte acht Priester bei sich in Magadon behalten und die anderen neun nach Tarsk geschickt.
»Wir haben getan, was du vorgeschlagen hast, und sind in den Geist der Ungeheuer eingedrungen. Aber ich glaube nicht, daß dir gefallen wird, was wir dort gefunden haben.«
»Sag’s mir.«
»Sie gehörten zum Drachen! Ceska hat vor fünfzehn Jahren damit begonnen, sie zusammenzutreiben. Einige der jüngeren sind Männer, die gefangen wurden, als der Drache sich neu formierte.«
»Ich verstehe.«
»Macht das einen Unterschied?«
»Nein«, erwiderte Decado. »Es verstärkt nur den Kummer.«
»Das tut mir leid. Läuft alles wie geplant?«
»Ja. Bist du sicher, daß wir nahe an sie heran müssen?«
»Ja«, erklärte Acuas. »Je näher, desto besser.«
»Die Templer?«
»Sie haben die Mauer in der Leere durchbrochen. Wir hätten um ein Haar Balan verloren.«
»Wie geht es ihm?«
»Er erholt sich bereits wieder. Hast du Ananais von Tenaka Khan erzählt?«
»Nein.«
»Du mußt es am besten wissen.«
»Das hoffe ich. Kommt her, sobald ihr könnt.«
Unten im Gras lag Ananais in einem traumlosen Schlaf. Valtaya sah ihn dort und bereitete eine Mahlzeit aus gebratenem Fleisch und warmem Brot zu. Nach einer Stunde brachte sie ihm das Essen, und gemeinsam gingen sie in den Schatten einiger Bäume, wo er seine Maske abnahm und aß.
Sie konnte ihm beim Essen nicht zusehen und ging umher, um Blumen zu pflücken. Als er fertig war, kam sie wieder zu ihm.
»Setz die Maske auf«, bat sie. »Es könnte jemand vorbeikommen.«
Seine strahlend blauen Augen brannten sich in die ihren; dann wandte er den Blick ab und setzte die Maske auf.
»Es ist gerade jemand gekommen«, sagte er traurig.
22
Im Laufe des Vormittags erklangen im Lager des Feindes die Signalhörner, und rund zehntausend Krieger begannen, sich zielstrebig zwischen den Wagen zu bewegen – sie machten Leitern los, banden Taue an Enterhaken und rückten Schutzschilde zurecht.
Ananais lief zu der Mauer, wo Lake sich über seinen Riesenbogen beugte, um Seile und Knoten zu prüfen.
Die Armee stellte sich im Tal auf; die Sonne funkelte auf Schwertern und Speeren. Eine Trommel begann zu dröhnen, und die Truppe setzte sich in Bewegung.
Auf der Mauer leckten die Verteidiger sich die trockenen Lippen und wischten sich die schweißnassen Handflächen an den Tuniken ab.
Der langsame Rhythmus der Trommeln
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