Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
benutzte.
»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, edler Herr«, erwiderte Sukai. »Ich bereitete gerade mein Bad vor – ich dachte, du würdest nicht warten wollen, bis ich mich anständig gekleidet hätte.«
»Da hast du recht, Sukai. Aber es war ungehörig, dein Bad vorzubereiten, ohne dich vorher zu vergewissern, ob ich dich brauchte. Nun ja – in einer Stadt der Barbaren ist es schwer, zivilisiertes Benehmen beizubehalten. Hast du dein Zimmer durchsucht?«
»Das habe ich, Herr. Es gibt keine Geheimgänge und keine geheimen Lauschmöglichkeiten.«
»Schändlich!«
»Es ist ein unverschämtes Volk.«
Oshi trat lautlos ein, verbeugte sich zweimal – und sah die tote Ratte. Er zog Chiens Messer heraus und hob den Kadaver am Schwanz hoch. »Sie hat Flöhe«, sagte er und hielt das Tier am ausgestreckten Arm.
»Wirf sie aus dem Fenster«, befahl Chien. »Wenn wir sie hierlassen, bekommen wir sie wahrscheinlich als Abendessen serviert.« Oshi schleuderte die Ratte in den Garten hinunter und ging ins Hinterzimmer, um das Messer zu säubern, während Chien sich wieder an den Krieger wandte. »Morgen brechen wir nach Süden auf.«
»Jawohl, Herr.«
Chien zögerte und schloß die Augen. Seine Konzentration wurde stärker, und er spürte die schwebende Gegenwart eines Geistes im Raum. Er lächelte. Also sind sie doch nicht solche Wilden, dachte er. Seine Finger zuckten an seinen Gürtel; Sukai verstand die Botschaft und wechselte geschickt von Kiatze zu Nadir.
»Wird der Große Khan uns Führer zur Verfügung stellen, Herr?«
»Aber gewiß. Er ist ein edler König, von vornehmem Blut. Aber ich denke, wir sollten seine Gastfreundschaft nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Du sorgst dafür, daß eine Wache von zwanzig Männern die Frauen und alle Diener außer Oshi zurück nach Kiatze begleitet. Ich werde eine Botschaft an den Göttlichen Kaiser schicken, um ihm den Erfolg unserer Mission und die freundlichen Worte Jungir Khans zu übermitteln. Die Reise nach Süden wäre für meine Mädchen zu beschwerlich.«
»Ja, Herr.«
»Wir nehmen nur einen Wagen – mit Geschenken für die Königin. Alle meine Sachen gehen zurück nach Kiatze.«
»Mit Ausnahme deines Zeltes, Herr?«
»Nein, das auch. Ich nehme meine Farben und Pinsel mit, das ist I alles. Vielleicht gibt es am Wegesrand ein paar interessante Blumen zu sehen.« Seine Finger schienen ein Staubkörnchen von seinem Ärmel zu schnippen.
Sukai verbeugte sich. »Ich habe viele rote Blüten bemerkt, Herr.«
»Du wirst noch sehr viel mehr sehen.«
Sukais Miene verhärtete sich. »Habe ich die Erlaubnis, an meine Familie zu schreiben, Herr?«
»Selbstverständlich. Und jetzt geh. Wir sehen uns bei Tagesanbruch.«
Als der Offizier gegangen war, kehrte Oshi mit Chiens frisch gesäubertem Messer zurück. Chien steckte die Klinge in die geölte Scheide in seinem Ärmel.
Oshi zog den abgestaubten Stuhl ans Fenster, und Chien nahm darauf Platz, scheinbar in Gedanken verloren. Er konzentrierte sich auf den zudringlichen Geist im Zimmer und sah einen dünnen, zerknitterten alten Mann mit blassen Augen und einem Wieselgesicht. Er schwebte dicht unter der hohen Decke. Chien saß schweigend, bis die Gegenwart des Beobachters verschwand.
»Oshi!«
»Ja, Herr?«
»Geh in die Küche und hole ein wenig Brot. Die Nadir haben bestimmt keinen Fisch, aber such mir etwas getrocknetes Fleisch aus, das nicht völlig verdorben ist.«
»Sofort!«
Chien verschränkte die Arme und dachte an Mai-syn. Für sie mußte dieser Ort mehr als erbärmlich gewesen sein. Er konzentrierte sich auf die Schönheit ihres Gesichts und versuchte, mit ihrem Geist in Verbindung zu treten. Doch er fand nur kosmisches Schweigen. Vielleicht ist sie zu weit weg von hier, dachte er. Vielleicht auch nicht, sagte die dunklere Seite seines Wesens.
Der Haushofmeister klopfte an die Tür und teilte Chien mit, daß Jungir Khan ein Fest zu seinen Ehren geben würde. Es solle heute abend bei Mondaufgang beginnen. Er könne gern den Hauptmann seiner Wache mitbringen, falls er dies wünsche. Chien verbeugte sich und nahm die Einladung an.
Welche neue Demütigung planen die Wilden für heute abend? überlegte er.
Die große Halle war voller Krieger, die um zahlreiche schlichte Tische saßen, die ein riesiges offenes Viereck bildeten. Jungir Khan, in einer enganliegenden, goldbestickten, schwarzen Ledertunika, saß am südlichen Ende der Halle; hinter ihm war die Thronempore. Rechts von Jungir Khan saß
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