Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
Chien, zu dessen Rechter Sukai saß, der sich unbehaglich fühlte und nur wenig aß. Links von Jungir saß ein verschrumpelter alter Mann, den der Khan als Shotza, den Hofschamanen, vorstellte. Chien verneigte sich leicht vor dem Mann. »Wir haben viel von den Künsten der Nadirschamanen gehört«, sagte er.
»Und wir von den Hofmagiern Kiatzes«, entgegnete Shotza. »Ist es wahr, daß sie kleine goldene Maschinen bauen, die in der Luft fliegen und Vögel nachahmen?«
»Der Göttliche Kaiser besitzt drei davon«, antwortete Chien-tsu.
Shotza nickte, schien jedoch nicht überzeugt.
Es gehörte zum Fest, eine ungeheure Menge Fleisch zu essen, das in Kiatze selbst die Hofhunde verschmäht hätten, da es bereits zu faulen angefangen hatte. Um dies zu übertünchen, begruben die Gäste das Essen unter Gewürzen. Chien aß wenig und trank noch weniger. Der Schnaps, den die Nadir konsumierten, wurde – wie man ihm erklärte – aus ranziger Ziegenmilch destilliert. »Wie einfallsreich«, bemerkte er. Wie passend, dachte er.
Zwischen den endlosen Gängen fanden Vorstellungen von Jongleuren oder Akrobaten statt. Sie waren nicht besonders geschickt, doch Chien applaudierte höflich.
»Wir haben viel von den kriegerischen Fähigkeiten der Kiatze gehört«, sagte Jungir Khan plötzlich. »Würde dein Offizier uns die Ehre eines Schaukampfes gewähren?«
»Welcher Art?« fragte Chien.
»Schwertfechten.«
»Bei allem Respekt, Großer Khan, aber das geht nicht. Die Seele eines Kriegers wohnt zum Teil in seiner Klinge, die deshalb nicht gezogen werden darf, außer zum Blutvergießen – und das, fürchte ich, wäre keine Darbietung von Kunstfertigkeit mehr.«
»Dann laß ihn bis zum Tod kämpfen«, sagte der Khan. »Ich fürchte, ich verstehe nicht, Herr. Ist das eine Art Scherz?«
»Ich scherze nie über den Krieg, Botschafter. Ich bitte lediglich darum, daß dein Schwertkämpfer mir die Fertigkeiten der Kiatze zeigt. Ich würde es dir übelnehmen, wenn du es mir verweigerst.«
»Ich hoffe, Majestät, daß du meine Worte nicht als Weigerung auffaßt. Ich bitte dich nur, es dir noch einmal zu überlegen. Wäre es nicht ein Unglück, wenn es auf einem Fest einen Toten gäbe?«
»Das kommt darauf an, wer stirbt«, antwortete der Khan kalt.
»Sehr gut, Majestät«, sagte Chien und wandte sich an Sukai. »Der Khan wünscht die Kriegskünste eines Kiatzeoffiziers zu sehen. Sei ihm zu Diensten.«
»Wie du befiehlst«, antwortete Sukai. Er stand auf und sprang über den Tisch. Er war weder groß noch breitschultrig. Sein Gesicht war breit und flach, die Augen dunkel, und bis auf einen dünnen Schnurrbart, dessen Enden ihm bis zum Kinn reichten, war er glattrasiert. Er zog ein langes, zweihändiges Krummschwert und wartete. Er fuhr sich mit den Fingern über die Brust. Chien las die signalisierte Frage und mußte sich bemühen, nicht zu stolz zu blicken. ›Erwartest du von mir, daß ich sterbe?‹ hatte Sukai gefragt. Chien hob die Hand, um sein kunstvoll gelacktes Haar zu berühren. Sukai verstand – und verbeugte sich.
Jungir Khan deutete auf einen Krieger am anderen Ende der Halle. »Zeig unseren Gästen, wie ein Nadir kämpft«, rief er, und der Mann sprang in das Viereck.
»Verzeihung, Majestät«, sagte Chien mit ausdrucksloser Miene.
»Was gibt es?«
»Es scheint mir nicht fair, nur einen Mann gegen Sukai kämpfen zu lassen. Er wäre tödlich beleidigt.«
Das Gesicht des Khans verdunkelte sich, und er hob eine Hand. Schweigen senkte sich über den Saal. »Unser Gast, der Botschafter des Landes Kiatze, sagt, daß ein Nadirkrieger allein kein Gegner für seinen Streiter ist.« Zorniges Murmeln erhob sich. Wieder durchschnitt die Hand des Khans die Luft, und alles schwieg. »Kann das wahr sein?«
»Nein!« brüllte die Gästeschar.
»Aber er behauptet auch, daß sein Streiter beleidigt wäre, wenn er sich nur einem Gegner stellen müßte. Sollen wir einen so stattlichen Krieger beleidigen?« Diesmal erfolgte keine Reaktion. Die Nadir warteten darauf, daß ihr Khan ihnen die Richtung vorgab. »Nein, wir können unsere Gäste nicht beleidigen. Deshalb werdet ihr, Ulai und Yetzan, euch eurem Kameraden anschließen.« Die beiden Nadirkrieger kletterten in das Viereck. »Der Kampf soll beginnen«, befahl Jungir.
Die Nadirkrieger bildeten einen Kreis um die noch immer reglose Gestalt Sukais, dessen großes Schwert leicht auf seiner Schulter ruhte. Plötzlich stürmte der erste Nadir nach vorn; die anderen folgten
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