Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
Mann, der gern reiste. Er mochte weder den Staub der Steppe noch das trockene, ungastliche Land. Vor allem verabscheute er die engen Behausungen, den Gestank der Städte und die kaum verhohlene Feindseligkeit der Nadir. In Hao-tzing hieß es, daß die Nadir eng mit dem Volk des Reiches der Mitte verwandt seien. Chien-tsu bezweifelte dies. Trotz der Ähnlichkeit in Hautfarbe und Sprache konnte er sich nicht vorstellen, daß beide Rassen gleichen Ursprungs waren. Er war der festen Überzeugung, daß die Götter zuerst die Nadir schufen und dann, als sie die scheußlichen Makel erkannten, die diese Spezies aufwies, das vollkommene Volk erschufen und ihm das Reich der Mitte anvertrauten. Dieser verhaßte Besuch bestätigte nur seine Theorie. Die Nadir schienen dem Baden abgeneigt, und ihre Kleider blieben von einer Jahreszeit zur nächsten ungewaschen – wahrscheinlich sogar von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, dachte er.
Und was für ein Land! Obwohl er mit leichtem Gepäck reiste, das einem Botschafter der Höchsten Stadt nicht angemessen war, fand er es immer noch schwierig, Unterkünfte für seine zweiundvierzig Diener, elf Konkubinen und sechzig Mitglieder der Königlichen Garde zu finden. Er hatte sich darauf beschränken müssen, sechzehn Wagen zu erwerben, die notwendige Dinge wie Zelte, Betten, Tische, Stühle, weiche Leinenlaken, Harfen, Flöten, zwei emaillierte Badewannen und fünf mannshohe Spiegel transportierten. Und er hatte lediglich fünfundzwanzig Kisten mit persönlichem Gepäck, das seine – gänzlich unzureichende – Reisegarderobe enthielt.
Chien-tsu fand es seltsam, daß der Kaiser einer seiner Töchter erlaubt hatte, einen Wilden zu heiraten, doch ein weiser Mann stellte die Entscheidungen des Göttlichen nicht in Frage. Und Chien-tsu war, wie alle zivilisierten Menschen wußten, überaus weise für seine zweiunddreißig Jahre.
Vor der Stadt zügelte er sein Pferd und seufzte. Die Gebäude waren vorwiegend unansehnlich, und dem Palast, der in der Mitte emporragte, fehlte – obgleich er eine arrogante, beinahe primitive Schlichtheit aufwies – jede Spur von ästhetischer Schönheit. Er besaß sechs quadratische Türme und einen zinnenbewehrten Wehrgang. Es flatterten keine Banner. Chien-tsu ließ die Wagen halten und befahl, sein Zelt aufzuschlagen. Sobald dies geschehe] war, ließ er seine Spiegel aufstellen und ein Bad bereiten. Seine Dienerinnen wuschen den Staub von seinem Körper und massierte ihn mit aromatischen Ölen. Sein langes dunkles Haar wurde sorgfältig eingeölt und gekämmt, aus der Stirn genommen und min Elfenbeinkämmen festgesteckt. Dann zog er Beinkleider aus goldbestickter blauer Seide an und Schuhe mit goldenen Bändern. Sein Hemd bestand aus der weißesten Seide, und darüber legte er eine lackierte Brustplatte aus Holz und Leder an, die mit einem goldenen Drachen geschmückt war. Sein langes Krummschwert hing zwischen seinen Schulterblättern, und zwei Messer in schimmernden hölzernen Scheiden wurden sorgfältig in der Satinschärpe versteckt, die er um seinen Leib band. Er ließ die Geschenke für Jungir Khan zusammentragen: Es waren siebzehn Kisten – entsprechen dem Alter der neuen Königin der Nadir. Chien-tsu dachte bei sich, daß es schön sein würde, Mai-syn wiederzusehen. Sie war die jüngste der legitimen Töchter des Kaisers, atemberaubend schön, und sie spielte die neunsaitige Harfe perfekt.
Er stieg in den Sattel und führte seine Entourage aus fünf Lakaien und vierunddreißig Trägern zum Palast.
Sie wurden von zwanzig Soldaten begrüßt, angeführt von einem Offizier mit einer Silberkette, der den Kopf in einer lässigen Verbeugung neigte. Chien-tsu runzelte die Stirn, denn die Verbeugung hätte viel tiefer ausfallen müssen, um der Höflichkeit Genüge zu tun. Er hob den Kopf und blickte dem Offizier in die Augen … Das Schweigen wuchs. Es war zwar unziemlich, zuerst zu sprechen, doch Chien-tsus Verärgerung war so groß, daß er beinahe gegen dieses Gebot verstoßen hätte.
»Nun?« fauchte der Offizier schließlich. »Was wollt ihr?«
Chien-tsu war verblüfft, unterdrückte jedoch seinen wachsenden Zorn. Es wäre nicht schicklich, gleich am ersten Tag in der Stadt einen Mann zu töten.
»Ich bin Chien-tsu, Botschafter des Höchsten Kaisers am Hofe Jungir Khans. Ich bin mit angemessenen Geschenken zum Geburtstag der Königin gekommen. Sei so freundlich und führe mich zu den Königlichen Hoheiten.«
Wie Chien-tsu erwartet hatte, veränderte sich
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