Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
scheint, daß die meisten Probleme dieser Welt von Männern verursacht werden, die sich zu sicher waren, Männer, die stets wußten, was richtig ist. Die Bruderschaft wählte einen Weg aus Schmerz und Leid. Natürlich nicht ihr eigenes. Sie ritten in das Tal, um Frauen und kleine Kinder abzuschlachten. Vergiß das nicht!«
Vishna nickte. »Du hast wahrscheinlich recht, Ekodas. Aber was mache ich, wenn einer meiner Brüder mit dem Schwert in der Hand über diese Mauer klettert? Was soll ich dann tun? Er gehorcht den Befehlen seines Kaisers, wie es alle guten Soldaten tun müssen. Soll ich ihn töten? Stürze ich ihn in den Tod?«
»Ich weiß es nicht«, gab Ekodas zu. »Aber wir sehen uns genügend realen Gefahren gegenüber, ohne daß wir noch neue schaffen müßten.«
»Ich möchte gern allein sein, mein Freund. Nimm mir das bitte nicht übel.«
»Ich nehme es dir nicht übel, Vishna. Mögen deine Betrachtungen dir Frieden bringen.« Ekodas drehte sich um, duckte sich unter dem zerfallenden Sturz und stieg die gewendelte Treppe hinunter. Er kam zu einem schmalen Flur, der in einen langen Saal führte. Darin half der dicke Merlon den Nadirfrauen, das Essen für die Krieger zuzubereiten. Ekodas sah Shia in der Nähe Teig kneten. Sie blickte auf und lächelte ihn an.
»Wie geht es dir, meine Dame?« fragte er.
»Mir geht es gut, Betbruder. Eure Ankunft war eine höchst erfreuliche Überraschung.«
»Ich hatte nicht geglaubt, daß wir es rechtzeitig schaffen. Wir sind zuerst nach Westen gereist, nach Vagria, und dann nach Süden, um die Belagerer zu umgehen. Es war ein langer Ritt.«
»Und jetzt bist du hier. Bei mir.«
»Es hat mir leid getan, als ich vom Tod deines Bruders hörte«, sagte er schnell, als sie sich vom Tisch erhob.
»Warum? Hast du ihn gekannt?«
»Nein. Aber es muß dir Kummer bereitet haben. Und das tut mir leid.«
Sie ging um den Tisch und stellte sich dicht vor ihn. »Ich fühle ein wenig Schmerz, doch es ist mein eigener. Aber ich bin auch stolz. Denn der Mann, den er tötete, war derselbe Ritter, der unseren Vater getötet hat. Das ist ein Segen, für den ich den Göttern danke. Belash ist jetzt in der Halle der Helden. Er ist umgeben von vielen schönen Jungfrauen, und sein Becher ist immer gefüllt mit edlem Wein. In den Fleischtöpfen brodelt es, und er kann unter hundert Ponies wählen, wenn er reiten will. Mein Kummer ist nur, daß ich ihn nicht mehr sehen werde. Aber ich freue mich für ihn.«
Ekodas fiel keine Antwort ein, und so verbeugte er sich und zog sich zurück. »Jetzt siehst du aus wie ein Mann«, sagte Shia beifällig.
»Und du kämpfst wie ein Krieger. Ich sah dich drei Gegner töten und einen vierten verwunden.«
Er zuckte zusammen und verließ rasch die Halle. Aber sie folgte ihm hinaus auf den unteren Wehrgang über dem Hof. Die Sterne schienen hell, und er sog ein paarmal tief die kalte Luft ein.
»Habe ich dich beleidigt?« fragte sie.
»Nein. Es ist … nur …, daß ich nicht gern töte. Es gefällt mir nicht zu hören, daß ich einen Mann verstümmelt habe.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich habe ihm die Kehle durchgeschnitten.«
»Das ist auch keine sehr erhebende Vorstellung.«
»Es sind unsere Feinde«, sagte sie in einem Ton, als spräche sie mit einem Einfaltspinsel. »Was sollten wir sonst mit ihnen machen?«
»Ich habe keine Antworten, Shia. Nur Fragen, die niemand beantworten kann.«
»Ich kann sie beantworten«, versicherte sie strahlend.
Er setzte sich auf die Mauer des Wehrgangs und blickte in ihr monderhelltes Gesicht. »Du bist so selbstsicher. Wie kommt das?«
»Ich weiß, was ich weiß, Ekodas. Stell mir eine deiner Fragen.«
»Ich hasse es zu töten. Warum habe ich mich aber dann gestern in der Schlacht bei jedem Schwertstreich so wohl gefühlt?«
»Ich dachte, deine Fragen wären schwer«, tadelte sie ihn. »Geist und Fleisch, Ekodas. Der Geist ist unsterblich. Er liebt das Licht, er verehrt die Schönheit – die Schönheit der Gedanken und der Taten. Und er hat die Ewigkeit, die er genießen kann, die Zeit, über die er nachsinnen kann. Aber das Fleisch ist dunkel. Denn das Fleisch weiß, daß es nicht lange zu leben hat. Verglichen mit der Zeit des Geistes ist das Leben des Fleisches wie ein Blitz. Es hat sehr wenig Zeit, Vergnügen kennenzulernen, die Reichtümer des Lebens zu schmecken, Lust, Gier, Gewinn. Es möchte alles ausprobieren, und es schert sich um nichts außer um seine Existenz. Was du gespürt hast, war die jubelnde
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