Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
Bis jetzt gibt es neun wie dich. Es werden noch mehr.«
»Wie viele mehr?«
»Wir werden dreißig sein.«
Die Gebetshymne endete. Ekodas spürte die Kälte der Trennung, wurde sich seiner Muskeln und Sehnen bewußt, spürte die kalte Brise, die durchs offene Fenster drang und seine nackten Beine streifte. Er schauderte und öffnete die Augen.
Dardalion stand auf. Ekodas blickte in das schmale, asketische Gesicht des Abtes.
»Meine Brüder«, sagte Dardalion, »hinter euch steht die Rüstung der Dreißig. Daneben steht der Stab des QUELLEN-Priesters. Heute abend werden wir entscheiden, wo unsere Bestimmung liegt. Tragen wir die Rüstung und finden die QUELLE im Kampf bis auf den Tod gegen die Mächte des Bösen, oder gehen wir getrennte Wege in Frieden und Harmonie? Heute abend spreche ich für letzteres. Ekodas wird für das erste argumentieren. Wenn der Abend zu Ende geht, wird jeder von euch aufstehen und seine Entscheidung treffen. Ihr werdet entweder den Stab oder das Schwert nehmen. Möge die QUELLE uns bei unserer Entscheidung leiten.«
Darauf schwieg er eine Weile; dann begann er von der bindenden Macht der Liebe zu sprechen, den Veränderungen, die sie in den Herzen der Menschen bewirkte. Er sprach von dem Bösen, das in Haß und Gier und Lust steckte, wies mit großer Beredsamkeit darauf hin, wie töricht es sei zu glauben, daß Schwerter und Lanzen das Böse vernichten könnten. Er sprach von Zorn und den Dämonen, die in jeder menschlichen Seele auf der Lauer lagen, Dämonen mit feurigen Peitschen, die einen guten Mann zu Vergewaltigung und Mord anstacheln konnten. Ekodas lauschte mit wachsendem Erstaunen. All seine Argumente und noch mehr trug der Abt vor.
»Ja, die Liebe«, fuhr Dardalion fort, »sie kann die Wunden des Hasses heilen. Liebe kann Lust und Gier auslöschen. Durch Liebe kann auch ein böser Mensch bereuen und Erlösung finden. Denn die QUELLE verstößt keinen Menschen.
Jeder von uns ist von der QUELLE gesegnet. Wir haben Talente. Wir können Gedanken lesen, wir können fliegen. Einige können mit einer Berührung Wunden heilen. Wir sind begnadet. Wir können gehen und unsere Botschaft der Liebe im ganzen Reich verkünden.
Vor vielen Jahren befand ich mich in einer sehr schlimmen Lage. Die Dunkle Bruderschaft formierte sich erneut, suchte nach begabten Kindern und brachte sie auf ihren Pfad des Bösen. Diejenigen, die sich weigerten, wurden den Mächten der Finsternis geopfert. Damals beschloß ich, daß auch ich nach jenen suchen würde, die Talent hatten, um sie auszubilden und wieder die Dreißig aufzubauen, die gegen das Böse kämpfen sollten. Währenddessen traf ich auf zwei Schwestern, Kinder einer Tragödie. Sie lebten bei einem Witwer, einem starken Mann, furchtlos und tödlich. Aber sie waren verloren im seelenlosen Grau der Leere, gejagt von dämonischen Kräften und zwei Rittern der Bruderschaft. Ich schlug sie in die Flucht und rettete den Geist dieser Kinder, indem ich sie nach Hause brachte. Und dann kehrte ich in meinen Körper zurück und ritt zu ihrer Hütte. Die Mörder der Bruderschaft wußten, wo sie die Kinder finden konnten, und ich wollte ihren Vater warnen.
Doch als ich dort ankam, war er bewußtlos, denn er hatte sich mit starkem Wein vollaufen lassen und versucht, seinen Kummer über den Tod seiner Frau zu ertränken. Die Kinder waren allein. Als ich in der Hütte war, spürte ich, daß jeden Augenblick zwei Männer kommen würden. Ich konnte ihre Lust an Gewalt und Tod fühlen, die vor ihnen herwehte wie roter Nebel. Wir konnten nirgends hin. Uns nirgends verstecken.
Da tat ich etwas, das ich immer bedauert habe. Ich nahm dem Bewußtlosen seine kleine Doppelarmbrust ab und lud sie. Dann ging ich hinaus, um auf die Mörder zu warten. Während der vagrischen Kriege hatte ich mit dem Schwert gekämpft, aber ich hatte geschworen, nie wieder ein menschliches Leben zu nehmen. Während ich wartete, betete ich, daß sie allein aufgrund der Bedrohung durch die Armbrust umkehren würden.
Aber sie kamen, und sie lachten mich aus, denn sie kannten mich. Ich war ein Priester der QUELLE, der die Liebe predigte. Sie verspotteten mich und zogen ihre Schwerter. Die Waffe, die ich in Händen hielt, hatte viele Männer getötet, und sie besaß Macht, schreckliche Macht, in ihren Ebenholzarmen. Die Männer kamen näher. Mein Arm fuhr hoch. Und der erste Bolzen flog. Der erste Mann starb. Der zweite machte kehrt, um davonzulaufen. Ohne zu überlegen, schoß ich ihm in den
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