Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
Freude, die er beim Töten empfand. Denn das ist der Angelpunkt seines Arguments. Als Kriegerpriester müssen wir –
wenn
wir denn kämpfen müssen – ohne Haß kämpfen. Wir müssen die Verteidiger des Lichts sein.
Diese von der QUELLE erschaffene Welt befindet sich in einem empfindlichen Gleichgewicht, und wenn die Waagschale des Bösen schwerer ist als die des Guten, was sollen wir dann tun? Die QUELLE hat uns Gaben verliehen, Gaben, die uns in die Lage versetzen, der Bruderschaft die Stirn zu bieten. Sollen wir diese Gaben verleugnen? Es gibt viele Männer, die den Stab nehmen könnten. Viele Priester könnten – und werden – die Welt mit ihren Liedern von Frieden bereisen.
Aber wo sind die Krieger des Lichts, die sich der Bruderschaft entgegenstellen können? Wo sind die Ritter der QUELLE, die die Magie des Bösen abwenden können?« Er breitete die Hände aus. »Wo, wenn nicht hier? Nicht einer von uns kann mit Gewißheit sagen, daß der Pfad, den wir gewählt haben, der rechte ist. Doch wir beurteilen eine Rose nach ihrer Blüte und ihrem Duft. Die Bruderschaft strebt nach Herrschaft und damit nach einem neuen Zeitalter des Blutes. Wir streben danach, die Menschen in Frieden und Harmonie zu sehen, frei zu lieben, frei, Söhne und Töchter großzuziehen, frei, abends den herrlichen Sonnenuntergang zu betrachten, im Wissen, daß das Böse fern ist.
Wir wissen, wo das Böse liegt, und wir sollten ihm mit reinem Herzen entgegentreten. Wenn es durch Liebe abgewendet werden kann, so sei es! Aber wenn es Totschlag und Grauen sucht, dann sollten wir uns ihm mit Schwert und Schild stellen. Denn das ist unsere Bestimmung. Wir sind die Dreißig!« Er setzte sich und schloß die Augen, von Gefühlen übermannt.
»Laßt uns beten«, sagte Dardalion, »und dann soll jeder seinen Weg wählen.«
Einige Minuten lang herrschte Schweigen. Dann sah Ekodas, wie Vishna aufstand, das silberne Schwert ergriff und es vor sich auf den Tisch legte. Magnic war der nächste; das schabende Geräusch des Schwerts, das aus der Scheide glitt, durchschnitt die Stille. Einer nach dem anderen wählten die Priester die Schwerter, bis nur noch Dardalion und Ekodas übrig waren. Dardalion wartete, und Ekodas lächelte. Er stand auf, die Augen fest auf den gleichmütigen Blick des Abtes gerichtet.
»Hast du mich hereingelegt, Vater?« pulste Ekodas.
»Nein, mein Sohn. Hast du dich selbst überzeugt?«
»Nein, Dardalion. Ich glaube immer noch, daß es Torheit ist, gegen das Böse mit seinen eigenen Waffen zu kämpfen, und daß es nur zu mehr Haß und mehr Tod führt.«
»Warum hast du dann das Argument mit solcher Kraft vorgetragen?«
»Weil du mich darum gebeten hast. Und ich verdanke dir alles.«
»Dann nimm den Stab, mein Sohn.«
»Dafür ist es zu spät, Vater.« Ekodas schloß seine Finger um den Griff des silbernen Langschwertes. Die Klinge sauste durch die Luft und fing das Licht der vielen Laternen ein.
»Wir sind eins!«
rief Vishna.
Und dreißig Schwerter wurden hochgehalten, lodernd wie Fackeln.
Karnak schritt durch die jubelnden Truppen, lächelnd und winkend. Dreimal blieb er stehen, um ein paar Worte mit einzelnen Soldaten zu wechseln, an deren Namen er sich erinnerte. Es war dieser joviale Zug, der ihn bei den Männern so beliebt machte, und das wußte er. Hinter ihm gingen zwei Offiziere seines Generalstabs. Gan Asten, ein ehemaliger Unteroffizier, den Karnak im Bürgerkrieg befördert hatte, war jetzt einer der mächtigsten Befehlshaber der Drenai-Armee. An seiner Seite ging Dun Galen, offiziell Karnaks Adjutant, in Wahrheit jedoch der Mann, dessen Spionagenetz dafür sorgte, daß Karnak die Zügel der Macht in den Händen behielt.
Karnak erreichte das Ende der Reihe und bückte sich, um ins Zelt zu treten. Asten und Galen folgten ihm. Die beiden Wächter kreuzten ihre Lanzen vor der Öffnung und signalisierten auf diese Weise, daß der Reichsverweser nicht gestört werden durfte, und die Soldaten schlenderten zurück zu ihren Lagerfeuern.
Drinnen verschwand Karnaks Lächeln. »Wo, bei den Göttern, steckt er?« fauchte er.
Der klapperdürre Galen zuckte die Achseln. »Er war im Palast und hat den Wachen angeblich gesagt, er würde Freunde besuchen. Dann hat man ihn nicht mehr gesehen. Später, als sein Zimmer durchsucht wurde, stellte man fest, daß er Kleider zum Wechseln mitgenommen und Gold aus Varacheks Schatzkammer gestohlen hatte – ungefähr zweihundert Raq. Seitdem gibt es keine Spur mehr von
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