Die Drenai-Saga 5 - Im Reich des Wolfes
hat ihn überredet, sich mit dem Herrscher der Sathuli zu treffen. Er wird gefangengenommen und lebend nach Gulgothir gebracht. Aber sag mir, Meister, wozu brauchen wir ihn? Warum schneiden wir ihm nicht einfach die Kehle durch?«
Zhu Chao lächelte. »Männer wie Karnak sind wahrlich selten. Sie haben Macht, eine tiefe, elemenatare Kraft. Er wird ein würdiges Geschenk für Shemak sein, ebenso wie der Kaiser. Zwei Herrscher unter dem Opfermesser. Wann hat unser Gebieter je solche Opfer bekommen? Und ich werde mit Freuden zuschauen, wie beide um ihr Leben betteln.«
»Und die QUELLEN-Priester?« fragte ein zweiter Offizier, ein schlanker Mann mit schütter werdendem, schulterlangem grauen Haar.
»Dardalion und seine Komikertruppe?« Zhu Chao stieß ein trockenes Lachen aus. »Heute abend, Casta. Nimm sechzig Männer. Zerstöre ihre Seelen, während sie schlafen.«
»Ich mache mir Sorgen, Meister«, sagte Innicas, »über diesen Mann, Waylander. War er nicht vor vielen Jahren mit Dardalion verbündet?«
»Er ist ein Mörder. Nicht mehr, nicht weniger. Er begreift die mystischen Künste nicht.«
»Er hat neun unserer Krieger erschlagen«, betonte Casta.
»Er hat eine Stieftochter, Miriel. Sie ist es, die die Gabe hat. Und bei Waylander waren zwei Arenakrieger namens Senta und Angel. Und der Abtrünnige Belash. Der Zeitpunkt des Angriffs war unglücklich, aber einen zweiten Anschlag werden sie nicht überleben – das verspreche ich euch.«
»Ich will nicht respektlos sein, Herr, aber dieser Waylander scheint ein besonderes Talent zum Überleben zu haben«, sagte Innicas. »Wissen wir, wo er ist?«
»In diesem Augenblick wird er durch das Land der Sathuli verfolgt. Er ist verwundet, allein – bis auf einen räudigen Hund –, und er hat nur noch wenig Proviant und kein Wasser mehr. Die Jäger kommen näher. Wir werden sehen, wie weit sein Talent zum Überleben reicht.«
»Und das Mädchen?« fragte der grauhaarige Casta.
»In Dros Delnoch. Aber sie wird sich Kesa Khan anschließen. Sie wird in Kar-Barzac sein.«
»Du willst, daß sie lebend gefangen wird?« wollte Melchidak wissen.
»Das ist mir egal«, antwortete Zhu Chao. »Falls sie lebt, gebt sie den Männern. Sie sollen sich amüsieren. Wenn sie fertig sind, opfert das Mädchen dem Gebieter.«
»Herr, du hast von der Macht der Älteren und der Unsterblichkeit gesprochen«, sagte Casta. »Was erwartet uns in Kar-Barzac?«
Zhu Chao lächelte. »Alles zu seiner Zeit, Casta. Wenn die Nadirwölfe tot sind, zeige ich dir die Kristallkammer.«
Ekodas lag auf seiner Pritsche und lauschte auf die Geräusche der Nacht, das Flattern von Fledermausflügeln vor dem offenen Fenster, das raschelnde Seufzen des Winterwindes. Es war kalt, und die einzige Decke konnte seine Körperwahrnehmung kaum halten.
Im nächsten Bett schnarchte Duris. Ekodas lag wach, ohne auf die Kälte zu achten. Seine Gedanken drehten sich um Shia, die Nadirfrau. Er fragte sich, wo sie sein mochte und ob sie ihren Bruder gefunden hatte. Er seufzte und schlug die Augen auf. Der Mondschein warf tiefe Schatten von den Balken der roh gezimmerten Decke, und eine Wintermotte flatterte zwischen den Dachsparren umher.
Ekodas schloß die Augen wieder und suchte die Befreiung des Fliegens. Wie immer war es schwierig für ihn, aber schließlich entschwebte er seinem Körper und gesellte sich zu der Motte. Er warf einen Blick auf seine schlafenden Kameraden. Der Mond schien von einem wolkenlosen Himmel, als er aus dem Tempel flog, und die Landschaft war in geisterhaftes Licht getaucht.
»Unruhig, Bruder?« fragte Magnic, der neben ihm auftauchte.
»Ja«, antwortete Ekodas.
»Ich auch. Aber hier ist es still, und wir sind frei von unserem Fleisch.« Er hatte recht. Die Welt war anders, wenn man sie durch die Augen des Geistes sah, friedlich und schön, ewig und fast empfindungsfähig. »Du hast gut gesprochen, Ekodas. Du hast mich überrascht.«
»Ich mich auch«, gestand er. »Obwohl ich, wie du sicher weißt, nicht völlig überzeugt bin – selbst von meinen eigenen Argumenten nicht.«
»Ich glaube, niemand von uns ist sich wirklich sicher«, sagte Magnic leise, »aber es muß ein Gleichgewicht geben, sonst läßt sich keine Harmonie finden. Ich fürchte die Bruderschaft, und ich verabscheue und verachte alles, wofür sie steht. Weißt du, warum?«
»Sag es mir.«
»Weil ich mich selbst nach solchen Vergnügen sehne. Tief in meinem Innern sehe ich die Anziehungskraft des Bösen, Ekodas.
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