Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
Sieben gehört hatte.
Er verschloß die Ohren vor den Stimmen und konzentrierte sich stattdessen auf die Lichtstrahlen und die schimmernden Staubmotten, die darin tanzten. Das Zimmer war leer bis auf drei Stühle aus schlichtem, unbehandeltem Holz. Sie waren nicht einmal gut gearbeitet. Sieben vermutete, daß man sie im Südviertel erstanden hatte, wo die Armen das bißchen Geld ausgaben, das sie hatten.
Die Eichentür ging auf, und ein Mann mittleren Alters kam heraus. Als er Sieben sah, wandte er hastig das Gesicht ab und eilte aus dem Haus. Der Dichter erhob sich und ging zu der offenen Tür. Das dahinterliegende Zimmer war kaum besser möbliert als das Wartezimmer. Hier standen ein großer Tisch mit schlecht zusammengefügter Zarge und zwei Hartholzstühle, und es gab nur ein einziges Fenster, dessen Laden geschlossen war. Durch die Schlitze drang kein Licht. Sieben sah, daß man alte Tücher dazwischen gestopft hatte.
»Ein Vorhang hätte auch gereicht, um das Licht auszusperren«, meinte er in einem bemüht leichten Tonfall, nach dem ihm gar nicht zumute war.
Die Alte Frau lächelte nicht; ihr Gesicht blieb im Schein der mit rotem Glas versehenen Laterne auf dem Tisch ausdruckslos.
»Setz dich«, befahl sie.
Er tat es und versuchte, ihre unglaubliche Häßlichkeit nicht zu beachten. Ihre Zähne hatten viele Farben – grün, grau und das Braun verrottender Pflanzen. Ihre Augen tränten, und im linken hatte sich grauer Star gebildet. Sie trug ein lose fallendes Gewand in verblichenem Rot, und um den Hals hing ein goldener Talisman, der in den zahlreichen Hautfalten fast verschwand.
»Leg das Gold auf den Tisch«, sagte die alte Frau. Sieben nahm einen einzelnen Goldraq aus seiner Börse und schob ihn ihr zu. Sie machte keine Anstalten, die Münze aufzunehmen, sondern schaute ihm ins Gesicht. »Was willst du von mir?« fragte sie.
»Ich habe einen Freund, der im Sterben liegt.«
»Der junge Axtträger.«
»Ja. Die Ärzte haben getan, was sie konnten. Aber in seinen Lungen ist Gift, und die Messerwunde in seinem Rücken will nicht heilen.«
»Hast du etwas von ihm bei dir?«
Sieben nickte und zog den silberbeschlagenen Handschuh aus seinem Gürtel. Sie nahm ihn schweigend und fuhr mit der schwieligen Haut ihres Daumens über Leder und Metall. »Der Arzt ist Calvar Syn«, sagte sie. »Was sagt er?«
»Nur, daß Druss eigentlich schon tot sein müßte. Das Gift in seinem Körper breitet sich aus. Sie flößen ihm Flüssigkeit ein, aber er verliert an Gewicht und hat die Augen seit vier Tagen nicht mehr geöffnet.«
»Was möchtest du, daß ich tun soll?«
Sieben zuckte die Achseln. »Es heißt, daß du sehr viel von Kräutern verstehst. Ich dachte, du könntest ihn vielleicht retten.«
Sie lachte plötzlich auf – ein trockener, rauher Laut. »Meine Kräuter verlängern im Allgemeinen kein Leben, Sieben.« Sie legte den Handschuh auf den Tisch und lehnte sich im Stuhl zurück. »Er leidet«, sagte sie. »Er hat seine Frau verloren, und sein Lebenswille läßt nach. Ohne diesen Willen gibt es keine Hoffnung.«
»Du kannst gar nichts tun?«
»Für seinen Willen? Nein. Aber seine Frau ist an Bord eines Schiffes, das nach Ventria segelt. Sie ist in Sicherheit – vorerst. Aber der Krieg geht weiter, und wer kann sagen, was aus einem Sklavenmädchen wird, wenn es diesen kriegsgeschüttelten Kontinent erreicht? Geh zurück ins Krankenhaus. Bring deinen Freund in das Haus, das Shadak für euch bereitet.«
»Also wird er sterben?«
Sie lächelte, und Sieben riß die Augen von dem plötzlichen Anblick verfaulender Zähne los. »Vielleicht … Legt ihn in ein Zimmer, in das morgens die Sonne scheint, und legt seine Axt auf das Bett, so daß seine Finger den Griff umschließen können.« Ihre Hand zuckte über den Tisch, und der Goldraq verschwand in ihrer Hand.
»Das ist alles, was du mir für eine Unze Gold sagen kannst?«
»Das ist alles, was du wissen mußt. Leg seine Hand auf den Griff.«
Sieben stand auf. »Ich hatte mehr erwartet.«
»Das Leben ist voller Enttäuschungen, Sieben.«
Er ging zur Tür, doch ihre Stimme hielt ihn zurück. »Berühr die Klingen nicht«, warnte sie.
»Was?«
»Trag die Waffe mit Vorsicht.«
Kopfschüttelnd verließ er das Haus. Die Sonne verbarg sich hinter dunklen Wolken, und Regen setzte ein.
Druss saß allein und erschöpft auf einem düsteren Berg. Der Himmel über ihm war grau und trist, der Boden ringsum ausgetrocknet. Er blickte zu den Gipfeln, die so weit
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