Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
dieser Zeit habe ich mehr als dreißig Hausbesuche gemacht, und ich mußte viele teure Kräuter kaufen. Du hast schon dreimal versprochen, die Rechnung zu begleichen. Jedesmal fragst du, wie hoch sie ist. Hast du nun das Geld oder nicht?«
»Nein«, gestand Sieben.
»Wieviel hast du?«
»Fünf Raq.«
Calvar hielt die Hand auf, und Sieben legte die Münzen hinein. »Du hast bis heute in einer Woche Zeit, um den Rest des Geldes aufzutreiben. Danach informiere ich die Stadtwache. In Mashrapur ist das Gesetz einfach: Wenn du deine Schulden nicht bezahlst, wird dein Eigentum beschlagnahmt. Da dieses Haus dir nicht gehört und du keine Einnahmequelle hast, soviel ich weiß, wirst du wahrscheinlich eingesperrt, bis man dich als Sklaven verkauft. Also, bis nächste Woche.«
Calvar wandte sich ab und marschierte durch den Garten. Sein Zorn wuchs.
Noch ein säumiger Schuldner.
Eines Tages gehe ich wirklich zur Wache, versprach er sich. Er schlenderte weiter durch die engen Straßen; die Arzttasche baumelte von seinen schmalen Schultern.
»Doktor! Doktor!« rief eine Frau. Als er sich umdrehte, sah er eine junge Frau auf sich zulaufen. Seufzend wartete er. »Kannst du mitkommen? Mein Sohn hat Fieber.« Calvar betrachtete die Frau. Ihr Kleid war von schlechter Qualität und alt. Sie trug keine Schuhe.
»Und wie willst du mich bezahlen?« fragte er. Die Frage entsprang seinem noch nicht abgeflauten Ärger.
Sie schwieg einen Augenblick. »Du kannst alles nehmen, was ich habe«, sagte sie schlicht.
Er schüttelte den Kopf; sein Zorn war plötzlich verraucht. »Das ist nicht nötig«, sagte er mit einem berufsmäßigen Lächeln.
Kurz nach Mitternacht kam er nach Hause. Sein Diener hatte ihm ein kaltes Mahl aus Fleisch und Käse bereitgestellt. Calvar streckte sich auf einem lederbezogenen Sofa aus und nippte an einem Becher Wein.
Er schnallte seine Geldbörse los und schüttete den Inhalt auf den Tisch. Drei Raq kullerten auf das Holz. »Du wirst nie reich, Calvar«, sagte er mit einem schiefen Grinsen.
Er war bei dem Jungen geblieben, während die Mutter Lebensmittel einkaufte. Sie war mit Eiern, Fleisch, Milch und Brot zurückgekommen. Ihr Gesicht glühte. Es war zwei Raq wert, einfach nur diesen Ausdruck zu sehen, dachte Calvar.
Druss ging langsam hinaus in den Garten. Der Mond stand hoch am Himmel, die Sterne funkelten. Ihm fiel eins von Siebens Gedichten ein: Glitzerstaub im Nest der Nacht. Ja, so sahen die Sterne aus. Er atmete keuchend, als er die runde Bank erreichte, die um den Stamm der Ulme gezimmert worden war. Tief Luft holen, hatte der Arzt befohlen. Tief? Es fühlte sich an, als hätte man einen dicken Stein in seine Lungen gequetscht, der keine Luft durchließ.
Der Bolzen der Armbrust war ein glatter Durchschuß gewesen, doch er hatte ein kleines Stückchen von seinem Hemd in die Wunde gedrückt, und das hatte die Vergiftung hervorgerufen, die Druss’ Kraft aufzehrte.
Der Wind war kühl, Fledermäuse kreisten über den Bäumen. Kraft. Jetzt erkannte Druss, wie sehr er die ungeheure Kraft seines Körpers unterschätzt hatte. Ein kleiner Bolzen und ein hastig zustoßendes Messer hatten diesen Trümmerhaufen, diese schwache Hülle aus ihm gemacht. Wie sollte er in diesem Zustand Rowena retten?
Verzweiflung traf ihn wie eine Faust unter dem Herzen. Sie retten? Er wußte nicht einmal, wo sie war, nur, daß jetzt Tausende von Kilometern sie beide trennten. Es fuhren keine ventrischen Schiffe mehr, und selbst wenn, hätte Druss kein Gold gehabt, um seine Passage zu bezahlen.
Er warf einen Blick auf das Haus, wo goldenes Licht aus Siebens Fenster fiel. Es war ein schönes Haus. Shadak hatte dafür gesorgt, daß sie es mieten konnten, da der Eigentümer in Ventria festsaß. Aber die Miete war fällig.
Der Arzt hatte ihm gesagt, es würde noch zwei Monate dauern, ehe seine Kräfte wiederkehrten.
Bis dahin sind wir verhungert, dachte Druss. Er erhob sich mühsam und ging zu der hohen Mauer am rückwärtigen Ende des Gartens. Als er sie erreichte, fühlten seine Beine sich wie Pudding an, und sein Atem ging stoßweise. Das Haus schien unendlich weit entfernt. Druss ging darauf zu, mußte jedoch am Teich innehalten und sich an den Rand setzen. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht und wartete, bis sein bißchen Kraft zurückkehrte. Dann stand er wieder auf und stolperte zur Hintertür. Das Eisentor am anderen Ende des Gartens verlor sich in den Schatten. Er wollte noch einmal dorthin gehen, doch ihm fehlte
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