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Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende

Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende

Titel: Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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als der Himmel allmählich hell wurde. »Manchmal«, sagte der Abt, während er einen Kupferkessel über die Flammen hängte, »ist es schwer, den Willen der QUELLE zu bestimmen. Ich habe Männer gekannt, die in ferne Länder reisen wollten. Sie beteten um Führung. Erstaunlicherweise stellten sie fest, daß die QUELLE sie genau das tun hieß, was sie sich wünschten. Ich sage erstaunlicherweise, weil meiner Erfahrung nach die QUELLE einen Menschen nur selten dorthin schickt, wohin er möchte. Das ist ein Teil des Opfers, das wir bringen, wenn wir IHR dienen. Ich will nicht sagen, daß es nie vorkommt, versteh mich recht; denn das wäre Arroganz. Aber wenn man um Führung betet, sollte das mit offenem Geist geschehen, und alle Gedanken an die eigenen Wünsche sollten beiseite geschoben werden.«
    Der Kessel begann zu singen; Dampfwolken quollen aus der gebogenen Tülle. Der Abt schützte seine Hände mit einem Tuch und goß das Wasser in eine Kanne, in die er getrocknete Kräuter gelöffelt hatte. Er stellte den Kessel wieder in den Kamin und setzte sich in seinen alten Ledersessel.
    »Nun spricht die QUELLE sehr selten direkt zu uns, und die Frage lautet also: Woher wissen wir, was von uns verlangt wird? Diese Dinge sind sehr kompliziert. Du hast dich entschieden, dich von deinen Studien fernzuhalten, um durch den Himmel zu schweben. Dabei hast du den Geist eines jungen Mädchens gerettet und sie zurück zu ihrem mißbrauchten Körper geleitet. Zufall? Ich glaube nicht an Zufälle. Deshalb glaube ich – ich kann mich natürlich irren –, daß die QUELLE dich zu dem Mädchen führte. Und deshalb denkst du jetzt ständig an sie. Deine Beziehung zu ihr ist noch nicht beendet.«
    »Meinst du, ich sollte sie suchen?«
    »Ja. Geh in die Bibliothek im Südflügel. Dahinter liegt eine kleine Zelle. Ich entbinde dich für morgen von allen Studien.«
    »Aber wie soll ich sie wiederfinden, Vater? Sie war eine Sklavin. Sie könnte überall sein.«
    »Beginne mit dem Mann, der sie vergewaltigt hat. Du kennst seinen Namen – Collan. Du weißt, wo er sie hinbringen wollte – nach Mashrapur. Beginne dort mit deiner Geistsuche.«
    Der Abt goß Tee in zwei Steingutschalen. Er duftete süß und schwer. »Ich bin der am wenigsten begabte von allen Priestern«, sagte Vintar traurig. »Es wäre doch sicher besser, die QUELLE zu bitten, jemanden zu schicken, der stärker ist?«
    Der Abt lachte leise. »Ist es nicht seltsam, mein Junge? Viele Leute sagten, daß sie der FRIEDENSHERRSCHERIN dienen möchten. Aber in einer ratgebenden Funktion: ›Ach, meine Göttin, du bist voller Wunder, denn du hast die Planeten und die Sterne geschaffen. Aber du irrst dich, wenn du mich erwählst. Das weiß ich, denn ich bin Vintar, und ich bin schwach‹.«
    »Du verspottest mich, Vater.«
    »Natürlich verspotte ich dich. Aber ich tue es mit Liebe im Herzen. Ich war Soldat, Mörder, Trunkenbold, Frauenheld. Wie, glaubst du, habe ich mich gefühlt, als SIE mich erwählte, Mitglied der Dreißig zu werden? Und als meine Priesterbrüder dem Tod ins Auge schauten – kannst du dir meine Verzweiflung vorstellen, als mir gesagt wurde, daß ich derjenige sei, der überleben mußte? Ich sollte der neue Abt sein. Ich sollte die neuen Dreißig um mich scharen. Ach, Vintar, du mußt noch viel lernen. Suche dieses Mädchen. Ich glaube, daß du dabei etwas für dich selbst finden wirst.«
    Der junge Priester trank seinen Tee und stand auf. »Danke, Vater, für deine Freundlichkeit.«
    »Du hast mir gesagt, daß sie einen Mann hat, der auf der Suche nach ihr war«, sagte der Abt.
    »Ja. Ein Mann namens Druss.«
    »Vielleicht ist er noch in Mashrapur.«
    Eine Stunde später schwebte der Geist des jungen Priesters am strahlenden Himmel über der Stadt. Von hier aus konnte er, trotz der Entfernung, welche die Häuser und Paläste winzig wirken ließ wie die Spielzeughäuser eines Kindes, das pulsierende Herz Mashrapurs spüren – wie ein Tier, das gerade erwacht, hungrig, voller Gier und Lust. Dunkle Gefühle strahlten von der Stadt aus, erfüllten seine Gedanken und überschwemmten die Keuschheit, um die er so hart kämpfte. Er sank tiefer und tiefer.
    Jetzt konnte er die Hafenarbeiter sehen, die zur Arbeit schlenderten, und die Huren, die ihrem frühmorgendlichen Geschäft nachgingen, die Kaufleute, die ihre Läden und Stände öffneten.
    Wo sollte er anfangen? Er hatte keine Ahnung.
    Stundenlang flog er ziellos umher, berührte hier einen Verstand, dort einen

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