Die dritte Ebene
Augen seines Neffen, der wohl noch immer unter der Trennung litt. Wie verrückt die Welt doch war.
»Wie geht es Tante Margo?«, wechselte Dave Lazard das Thema. »Hat sie sich gemeldet?«
Hamilton zuckte die Schulter. »Ich habe seit einer Woche nichts mehr von ihr gehört. Sie ist genauso dickköpfig, wie deine Mutter es war.« Diesmal war ein Krächzen in Hamiltons Stimme zu vernehmen.
»Sie ist eben eine echte Grange.«
»Da magst du recht haben«, sagte Hamilton.
»Wie wär’s, wenn wir uns beide heute so richtig volllaufen lassen?«, sagte Lazard. »Dann können wir uns gegenseitig etwas vorheulen.«
Hamilton schüttelte den Kopf. Margo hatte vor ein paar Monaten ihre Koffer gepackt und war mit den Kindern einfach verschwunden. Für eine Weile schwiegen sie.
»Weswegen hast du mich eigentlich gerufen?«, durchbrach Lazard das Schweigen. Hamilton zog einen blauen Aktenordner aus einem Schreibtischfach und warf ihn vor Lazard auf den Tisch.
»Du hast doch noch Beziehungen zur Rechtsmedizin in Albuquerque?«
Lazard griff nach dem Ordner und blätterte darin. »Du hast dir den Bericht über die Leiche am Coward Trail kommen lassen«, sagte der Deputy erstaunt. »Obwohl der Fall nicht in unseren Zuständigkeitsbereich gehört?«
»Wenn in meinem County eine Leiche gefunden wird, dann will ich wissen, was es damit auf sich hat«, brummte Hamilton und zündete sich ein neues Zigarillo an. »Erinnerst du dich an den Vorfall mit dem Lastwagenfahrer und der Frau im Morgenrock vor ein paar Monaten bei Magdalena?«
Lazard blickte den Sheriff mit großen Augen an. Schließlich schüttelte er den Kopf.
»Der Lastwagenfahrer war von der Straße abgekommen, weil er angeblich einer Frau in einem Morgenmantel ausgewichen ist. Ich habe dem Mann nicht geglaubt, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
»Nur weil der Tote von der Interstate auch eine Schlafanzughose trug?«
Hamilton nickte. »Nicht nur das, er trug auch noch ein Sweatshirt mit der Aufschrift POW.«
»Und was bedeutet das?«
»Na, überleg mal!«
»Du meinst, er ist ein Kriegsgefangener?«, fragte Lazard erstaunt. »Nein, das ist doch Blödsinn. Warum sollte die Army ein Kriegsgefangenenlager hier in New Mexico unterhalten?«
»Und was ist mit dem Stützpunkt drüben bei Magdalena?«
Lazard winkte ab. »Das ist ein Trainingscamp für Marinesoldaten. Sie trainieren dort für den Einsatz in Afghanistan. Das weiß doch mittlerweile jedes Kind.«
»Eben, deshalb.«
»Du meinst, er ist einer unserer Jungs?«
»Wie du lesen kannst, ist die Leiche trotz Nachfrage in den Krankenhäusern noch immer nicht identifiziert«, sagte Hamilton und zeigte ihm die Plastiktüte mit den Haaren. »Ich habe einen Informanten im Marine Network Center in Fort Worth. Unsere Soldaten, die in den Einsatz gehen, geben mittlerweile alle eine Blutprobe ab, damit man ihr DNA-Muster erstellen kann. Damit kann man ihre Überreste besser identifizieren, wenn sie von einer Granate getroffen werden. Wenn das DNA-Muster des Jungen irgendwo in den Dateien der Army gespeichert ist, dann will ich es erfahren.«
»Du willst also, dass ich nach Albuquerque fahre und ein DNA-Profil erstellen lasse?«, erwiderte Deputy Lazard. »Aber warum soll der Tote ein Angehöriger der Army oder der Marines sein? Diese Sweatshirts kannst du mittlerweile in jedem Jeansshop kaufen, die sind hip bei den Jungs.«
Hamilton fuhr sich nachdenklich über die Stirn. »Es ist nur eine Ahnung«, sagte er.
Long Point View, Lakeland, Ontario
Vor drei Tagen war Brian Saint-Claire von seiner Reise nach Venezuela wieder nach Hause zurückgekehrt. Das Magazin hatte seine Reportage über die Warao-Indianer in der aktuellen Juniausgabe veröffentlicht, nachdem Brian den Text und die Fotos per E-Mail von Caracas aus übermittelt hatte. Der Chefredakteur hatte die Story zur Titelgeschichte des Magazins erkoren. Der Aufhänger waren das ursprüngliche Leben der Indios inmitten einer unwirtlichen Natur und ihre Welt der Geister und Dämonen gewesen, doch auch über das seltsame Schicksal der Schamanin, die nach einem Blitzschlag in eine Art Koma gefallen war, hatte Brian berichtet. Er war hochzufrieden mit der Platzierung seiner Story, doch jetzt plagte ihn wohl wegen der Temperaturumstellung vom heißen Südamerika in die kalte Region um den Eriesee eine heftige Erkältung.
Er würde sich erst einmal erholen, hatte er sich vorgenommen, als er am frühen Morgen seine Angel geschnappt hatte und mit dem
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