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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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können, die am Körper eines Bauern befestigt war, verschwenderische Eleganz, die an der dunklen Haut des Bergmenschen hing.
    »Mein Vater ist gestorben, Danglard«, erklärte Adamsberg ruhig. »Wir saßen zusammen vor einer Taubenjagdhütte und verfolgten mit den Augen einen Bussard, der über uns kreiste. Die Sonne schien, da ist er tot umgefallen.«
    »Sie haben mir nichts davon gesagt«, murmelte Danglard, den die Geheimnisse des Kommissars grundlos kränkten.
    »Ich bin bis zum Abend bei ihm geblieben, ich hielt seinen Kopf an meiner Schulter. Ich wäre wahrscheinlich immer noch dort, aber eine Schar von Jägern hat uns bei Einbruch der Nacht gefunden. Bevor der Sarg geschlossen wurde, habe ich seinen Ring an mich genommen. Dachten Sie, ich hätte geheiratet? Camille?«
    »Das habe ich mich gefragt.«
    Adamsberg lächelte.
    »Frage geklärt, Danglard. Sie wissen besser als ich, daß ich Camille zehnmal habe fortgehen lassen und immer dachte, der Zug käme auch noch ein elftes Mal vorbei, an einem Tag, an dem es mir passen würde. Und genau dann kommt er nicht mehr vorbei.«
    »Man kann nie wissen, mit all den Weichenstellungen.«
    »Die Züge fahren genau wie die Menschen nicht gern im Kreis. Nach einer Weile geht es ihnen auf die Nerven. Nachdem man meinen Vater beerdigt hatte, habe ich meine Zeit damit verbracht, Steine im Wasser zu sammeln. Das kann ich gut. Stellen Sie sich nur die unendliche Geduld des Wassers vor, das über diese Steine hinwegströmt. Und die Steine, wie sie sich ihm überlassen, während der Fluß dabei ist, all ihre Unebenheiten wegzufressen, so als wär’s nichts. Am Ende gewinnt das Wasser.«
    »Nun, wenn es schon ums Kämpfen geht, sind mir die Steine lieber als das Wasser.«
    »Das ist Ihre Auffassung«, meinte Adamsberg ungerührt. »Was Steine und Wasser anbelangt, zwei Dinge, Danglard. Einerseits spukt es in meinem neuen Haus. Eine blutrünstige und habgierige Nonne, die 1771 unter den Fäusten eines Gerbers starb. Er hat sie zermalmt. Einfach so. Sie wohnt in gasförmigem Zustand auf dem Dachboden. Das wär’s in puncto Wasser.«
    »Gut«, sagte Danglard vorsichtig. »Und in puncto Steine?«
    »Ich habe die neue Gerichtsmedizinerin getroffen.«
    »Elegant, kühl und ein wahres Arbeitstier, nach dem, was man sich so erzählt.«
    »Und hochbegabt, Danglard. Haben Sie ihre Doktorarbeit über die zweigeteilten Mörder gelesen?«
    Überflüssige Frage, Danglard hatte alles gelesen, bis hin zu den Evakuierungshinweisen im Falle eines Brandes, die an den Türen von Hotelzimmern hängen.
    »Über die dissoziierten Mörder«, berichtigte Danglard.
    » Zu beiden Seiten der Wand des Verbrechens. Das Buch hat einiges Aufsehen erregt.«
    »Der Zufall will es, daß sie und ich uns vor mehr als zwanzig Jahren wie zwei Hunde gefetzt haben, in einer Kneipe in Le Havre.«
    »Feinde?«
    »Durchaus nicht. Diese Art von Zusammenstoß läßt zuweilen starke Beziehungen entstehen. Ich rate Ihnen davon ab, mit ihr ins Café zu gehen, sie praktiziert Mischungen, die einen bretonischen Seemann umhauen können. Sie hat die beiden Toten von der Porte de la Chapelle übernommen. Ihrer Auffassung nach hat eine Frau sie umgebracht. Bis heute abend wird sie ihre ersten Ergebnisse konkretisiert haben.«
    »Eine Frau?«
    Empört richtete Danglard seinen weichen Körper auf. Er haßte die Vorstellung, Frauen könnten töten.
    »Hat sie gesehen, wie groß die Kerle sind? Soll das ein Scherz sein?«
    »Vorsicht, Danglard. Dr. Lagarde irrt sich nie, oder fast nie. Verklickern Sie ihre Vermutung den Drogenfahndern, das wird die für eine Weile beruhigen.«
    »Mortier gerät langsam außer Kontrolle. Seit Monaten beißt er sich die Zähne an dem Drogenhandel in Clignancourt-La Chapelle aus. Er ist in einer üblen Lage, er braucht Ergebnisse. Heute morgen hat er zweimal angerufen, er ist außer Rand und Band.«
    »Lassen Sie ihn schreien. Am Ende gewinnt das Wasser.«
    »Was werden Sie tun?«
    »Wegen der Nonne?«
    »Wegen Diala und La Paille.«
    Adamsberg warf Danglard einen unbestimmten Blick zu.
    »So heißen die beiden Opfer«, erklärte Danglard. »Diala Toundé und Didier Paillot, genannt ›La Paille‹. Gehen wir heute abend ins Leichenschauhaus?«
    »Heute abend bin ich in der Normandie. Es gibt ein Konzert.«
    »Ah«, sagte Danglard und stand schwerfällig auf. »Sie suchen nach der Weichenstellung?«
    »Ich bin bescheidener, Capitaine. Ich begnüge mich damit, das Kind zu hüten, während sie

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