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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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nachdenkliches Schweigen.
    »Wenn’s so ist«, meinte Yolande, »bleibt dann wohl jeder besser für sich, wenn die Liebe den einen wie den anderen nur Ärger macht.«
    »Schon möglich.«
    »Aber man sollte auch nicht allzusehr die Stolze spielen, mein Kleines. Denn in der Liebe macht man nicht, was man will.«
    »Aber wer, Yolande, macht dann an unserer Stelle, was man nicht will?«
    Camille lächelte, und Yolande schniefte als Antwort, während ihre schwere Hand wieder und wieder über das Tischtuch strich, auf der Suche nach einem nicht vorhandenen Krümel. Wer? Die Mächtigen, vervollständigte Camille schweigend. Sie wußte, daß Yolande überall das Zeichen der Mächtigen-die-uns-regieren sah und ihrer ganz persönlichen, heidnischen kleinen Religion frönte, über die sie kaum sprach, aus Furcht, man könne sie ihr rauben.
    Acht Stufen vor ihrer Wohnungstür wurde Camille langsamer. Die Mächtigen, dachte sie. Die ihr einen schief lächelnden Typen im Wandschrank auf ihrem Treppenabsatz beschert hatten. Nicht schöner als andere, wenn man nicht darauf achtete. Viel schöner, wenn man auf die schlechte Idee kam, daran zu denken. Camille hatte sich immer schon in den verschwommenen Blicken und den weichen Stimmen verfangen, und so war sie auch mehr als fünfzehn Jahre in Adamsbergs Armen geblieben, wobei sie sich fest vorgenommen hatte, nicht dorthin zurückzukehren. Weder zu ihm noch zu irgend jemand anderem mit jener einschmeichelnden Sanftmut und trügerischen Zärtlichkeit. Es gab auf der Welt doch genügend einfach gestrickte Kerle, um sich notfalls ohne großes Raffinement mal auszulüften, Kerle, von denen man befreit und ruhig wieder nach Hause gehen konnte, ohne weiter darüber nachzudenken. Camille verspürte keinerlei Bedürfnis nach Gesellschaft. Durch welchen verfluchten Zufall mußte dieser Typ, dem Die Mächtigen geholfen hatten, ihr mit seiner belegten Stimme und seiner schrägen Lippe die Sinne verwirren? Sie legte ihre Hand auf den Kopf des kleinen Thomas, der sabbernd an ihrer Schulter schlief. Veyrenc. Mit den roten und den braunen Haaren. Sandkorn im Getriebe, Störung, die ungelegen kam. Mißtrauen, Wachsamkeit – und Flucht.

7
    Kurz nachdem Adamsberg sich von Ariane verabschiedet hatte, ging ein Hagelschauer auf den Boulevard Saint-Michel nieder, zerhackte seine Umrisse und verwandelte die Pariser Avenue in eine x-beliebige von der Sintflut überschwemmte Landstraße. Er schritt zufrieden aus, glücklich wie immer unter dem Tosen des Wassers und auch darüber, daß er nach dreiundzwanzig Jahren die Akte des Mörders von Le Havre schließen konnte. Er sah, wie die Statue von Jeanne d’Arc den Schauer standhaft über sich ergehen ließ. Jeanne tat ihm leid, er hätte es gehaßt, Stimmen zu hören, die ihm befahlen, dies zu tun und dahin zu gehen. Er, der schon Mühe hatte, seinen eigenen Anweisungen zu folgen, ja sie überhaupt zu erkennen, hätte sich den Befehlen himmlischer Stimmen entschieden widersetzt. Stimmen, die ihn nach einem lichtvollen heroischen Abenteuer von kurzer Dauer in eine Löwengrube geworfen hätten, denn solche Geschichten enden immer böse. Dagegen hatte Adamsberg nichts gegen das Aufsammeln von Kieselsteinen, die der Himmel ihm aus Gefälligkeit auf den Weg legte. Es fehlte ihm einer für die Brigade, und er suchte danach.
    Als er nach den fünf Wochen Zwangsurlaub, die der Divisionnaire angeordnet hatte, von seinen Pyrenäengipfeln heruntergestiegen und wieder in die Pariser Brigade zurückgekehrt war, hatte er ungefähr dreißig graue, vom Fluß glattgeschliffene Steine mitgebracht, die er auf die Tische seiner Mitarbeiter gelegt hatte, als Briefbeschwerer oder nach Belieben auch zu anderer Verwendung. Schlichte Gabe, die keiner abzulehnen wagte, nicht einmal diejenigen, die keine Lust hatten, einen Stein auf ihrem Tisch liegen zu haben. Eine Gabe, die allerdings nicht erklärte, warum der Kommissar zugleich einen goldenen Ehering mitgebracht hatte, der an seinem Finger glänzte und von Tür zu Tür die Funken der Neugier sprühen ließ. Wenn Adamsberg geheiratet hatte, weshalb hatte er dann seiner Mannschaft nichts davon gesagt? Und vor allem: wen geheiratet und warum? Entschlossenen Schritts die Mutter seines Sohnes? Unnatürlicherweise seinen Bruder? In mythischem Sinne einen Schwan? In Anbetracht der Tatsache, daß es sich um Adamsberg handelte, wurden sämtliche Möglichkeiten in Betracht gezogen und raunend von Schreibtisch zu Schreibtisch, von Stein zu

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