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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Cousine?
    »Und Sie begleiten sie«, wiederholte Hilaire.
    Adamsberg nickte. Man hatte ihm gesagt, daß die Leute in der Normandie nie direkte Fragen stellten, eine Legende, so glaubte er, aber hier hatte er den klaren Beweis für diesen Stolz auf das Schweigen. Zuviel fragen hieß sich enthüllen, sich enthüllen hieß kein Mann mehr sein.
    Hilflos wandte die Gruppe sich an den Alten. Angelbert ließ sein schlecht rasiertes Kinn knirschen, indem er mit den Nägeln darüberkratzte.
    »Weil sie Ihre Frau ist«, behauptete er.
    »War«, sagte Adamsberg.
    »Aber Sie begleiten sie trotzdem.«
    »Aus Höflichkeit.«
    »Natürlich«, sagte der Unterstreicher.
    »An einem Tag hat man die Frauen«, fing Angelbert wieder leise an, »und am nächsten Tag schon wieder nicht mehr.«
    »Man will sie nicht mehr, wenn man sie hat«, kommentierte Robert, »und will sie wiederhaben, wenn man sie nicht mehr hat.«
    »Man verliert sie«, bestätigte Adamsberg.
    »Wer weiß schon, wie«, wagte Oswald sich vor.
    »Durch Unhöflichkeit«, erklärte Adamsberg. »Jedenfalls was mich betrifft.«
    Endlich mal einer, der nicht auswich und dem die Frauen Kummer bereitet hatten, was ihm zwei Pluspunkte in der Gruppe der Männer verschaffte. Angelbert zeigte auf einen Stuhl.
    »Du hast noch genug Zeit, setz dich«, schlug er vor.
    Übergang zum Du, vorübergehende Akzeptanz des Bergmenschen im Kreis der Normannen aus der Ebene. Man schob ein Glas Weißwein vor ihn hin. Die Gemeinschaft der Männer zählte heute abend ein neues Mitglied, was morgen ausgiebig kommentiert werden würde.
    »Wer wurde umgebracht? In Brétilly?« fragte Adamsberg, nachdem er die erforderliche Anzahl Schlucke getrunken hatte.
    »Umgebracht? Du meinst abgemurkst? Niedergemacht wie ein armer Teufel?«
    Oswald holte noch eine Zeitung aus seiner Tasche und reichte sie Adamsberg, wobei er auf ein Foto tippte.
    »Eigentlich«, sagte Robert, indem er seinen Gedanken weiterspann, »wäre es besser, vorher unhöflich zu sein und nachher höflich. Zu den Frauen. So hätte man weniger Ärger.«
    »Wer weiß«, meinte der Alte.
    »Das soll einer begreifen«, fügte der Unterstreicher hinzu.
    Mit gekrauster Stirn starrte Adamsberg auf den Artikel in der Zeitung. Ein Rothirsch lag in seinem Blut, darunter stand: »Abscheuliches Blutbad in Brétilly«. Er faltete das Blatt zusammen, um den Titel zu lesen: Der Oberjägermeister des Westens.
    »Bist du Jäger?« fragte Oswald.
    »Nein.«
    »Dann kannst du’s nicht verstehen. So ein Hirsch, noch dazu ein Achtender, den bringt man nicht einfach so um. Das ist barbarisch.«
    »Siebenender«, berichtigte Hilaire.
    »Entschuldige«, sagte Oswald in etwas härterem Ton, »aber dies Tier hier ist ein Achter.«
    »Ein Siebener.«
    Streit und die Gefahr, daß es zum Bruch kam. Angelbert nahm die Dinge in die Hand.
    »Das kann man auf dem Bild nicht erkennen«, sagte er. »Sieben oder acht.«
    Jeder trank erleichtert einen Schluck. Nicht, daß ein heftiger Wortwechsel nicht regelmäßig notwendig gewesen wäre für die Musik der Männer, aber mit dem Fremden heute abend waren die Prioritäten andere.
    »Das hier«, sagte Robert und tippte mit seinem dicken Finger auf das Foto, »war kein Jäger. Der Kerl hat das Tier nicht angefaßt, er hat weder die Stücke entnommen noch die Ehren abgeschnitten, nichts.«
    »Die Ehren?«
    »Die Geweihenden und den rechten Vorderlauf. Der Kerl hat es einfach nur zum Spaß aufgeschlitzt. Ein Besessener. Und was tun die Bullen aus Évreux? Nichts. Es ist ihnen scheißegal.«
    »Weil es kein Mord ist«, sagte ein zweiter Widersprecher.
    »Soll ich dir was sagen? Ganz gleich, ob Mensch oder Tier, wenn ein Kerl imstande ist, jemanden derart abzuschlachten, dann weil er nicht ganz dicht ist. Wer sagt dir, daß er hinterher nicht eine Frau umbringt? So ein Mörder trainiert doch.«
    »Das stimmt«, sagte Adamsberg und sah wieder seine zwölf Ratten im Hafen von Le Havre vor sich.
    »Aber die Bullen sind dermaßen bescheuert, die kriegen’s einfach nicht in ihre Birne. Beschränkt wie Gänse.«
    »Immerhin ist es nur ein Hirsch«, warf der Einwerfer ein.
    »Du bist genauso beschränkt, Alphonse. Aber wenn ich Bulle wäre, würde ich garantiert nach ihm suchen, dem Kerl, und zwar fix.«
    »Ich auch«, murmelte Adamsberg.
    »Aha, da hast du’s. Sogar der Béarner sieht das so. Ein solches Gemetzel nämlich bedeutet, daß hier in der Gegend, hör mir gut zu, Alphonse, ein Verrückter rumläuft. Glaub’s mir, immerhin

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