Die dritte Klaue Gottes: SF-Thriller
schlimm?«
»So langweilig. Sie scheint eine der läuterungswilligen Verwandten gewesen zu sein, von denen Dejah erzählt hat. Sie hat sich den Pazifismusvirus ziemlich früh eingefangen und erklärt, die Familie müsse eine positivere Kraft in der menschlichen Zivilisation darstellen. Ihre Ansichten lassen sich, soweit ich es beurteilen kann, als ganz gewöhnlicher Utopismus einordnen: dem Ton nach nicht weit von dem Khaajiir entfernt, inhaltlich aber weit unterlegen.«
»Gib mir ein Beispiel«, bat ich.
»Aus einem Aufsatz, den sie mit neunzehn geschrieben hat und der ihren Privatlehrern nicht sonderlich zugesagt haben kann: ›Ich kann mir unsere Geschäftsmethoden nicht ansehen, ohne zu erkennen, dass wir auf den Rest der Menschheit schädlich wirken. Wir breiten uns aus wie eine Krankheit, unsere bloße Präsenz vergiftet Brunnen, aus denen andere trinken, unser Gewerbe inspiriert ganze Welten, sich gegeneinander zu wenden wie hungernde Ratten, die an ihren eigenen Beinen nagen. Es reicht mir nicht zu sagen, dass ich kein Teil dieser Korruption sein will, solange ich an dem Profit teilhabe. Ich muss mehr tun. Ich sehne mich danach, eine Anti-Bettelhine zu sein: wenn nicht in der Form, meine Familie zu bekämpfen, dann wenigstens in einer kleineren Form, indem ich ein Beispiel dafür liefere, dass wir einen Teil der Hoffnungen, die wir geraubt haben, wieder aufbauen können.‹«
»Das hört sich eher nach typischer adoleszenter Rebellion an.«
»Sollte man meinen. Die Wahrheit ist, dass sie immer sehr sorgfältig darauf geachtet hat, die Liebe, die sie ihren Angehörigen als Menschen entgegengebracht hat, von der Ablehnung all dessen zu trennen, wofür sie stehen. Bedauerlicherweise war sie so naiv wie idealistisch, und so ist ihr nie in den Sinn gekommen, dass ihr Prinzipienbekenntnis - so weich und unbedeutend es für uns klingen mag -ihr Ärger mit Mom und Dad einbringen könnte. Nicht lange, nachdem sie diese Worte niedergeschrieben hatte, wurde sie als Unruhestifterin eingestuft, nutzlos für alle unternehmerischen Zwecke, und in ein internes Exil auf einem der vielen Anwesen verfrachtet, die die Familie genau zu diesem Zweck unterhält - was, wie Dejah schon angedeutet hat, kaum das erste oder letzte Mal gewesen sein dürfte, dass so etwas passiert ist. Ich bezweifle, dass sie sich in ihrem Leben noch irgendetwas anderes als Freiheit gewünscht hat.«
»Was ist aus ihr geworden?«
»Auf der Bettelhine-Ahnentafel ist sie schon wenige Jahre später als verstorben aufgeführt. Ich weiß nicht, ob sie in ihrem internen Exil geblieben ist oder Xana verlassen hat, aber sie war mit Sicherheit nie eine Größe innerhalb des Unternehmens.«
Ich unterließ es, Skye für diese Lücke in ihrer Aufklärungsarbeit zu tadeln, und sei es scherzhaft. Bedachte ich die enorme Komprimierung, die sie erbringen mussten, dann dürften die Porrinyards den Dateien des Khaajiir schon jetzt mehr Informationen entlockt haben, als ich ihnen mit wochenlanger Arbeit hätte abringen können. Aber Lillian Jane Bettelhines skandalöse Ansichten passten weniger zu dem vorhandenen Puzzle, als dass sie auf die Existenz eines kompletten weiteren Abschnitts besagten Puzzles verwiesen. Ich rieb mir den Nasenrücken. »Es muss eine Verbindung geben, Liebes. Denkst du, Jason hat die Absicht, dem Beispiel seiner Tante zu folgen?«
»In seinem Fall wäre das ein Rückschritt. Er hat sich mit seiner Schwester zusammengetan und so eine solide Machtgrundlage geschaffen, die sogar Philips Rolle als erwarteter Nachfolger gefährdet. Lillian Jane hat ein paar unbotmäßige Sachen gesagt, ehe sie in irgendeinen kuscheligen Familiengulag abgeschoben wurde, wo sie niemanden stören konnte, indem sie auf Partys unbehagliches Schweigen auslöste. Pauschal gibt es nichts an ihr, dem nachzueifern wäre, abgesehen von ein paar prinzipientreuen Worten.«
Skyes zielstrebige Art, Lillian Jane herabzuwürdigen, koste es, was es wolle, ging mir allmählich auf die Nerven. »Worte sollen schon Berge versetzt haben.«
»Und Berge«, konterte Skye, »lassen sich leichter versetzen als Imperien. Vertrau mir, Andrea. Ich verstehe das natürliche Bedürfnis, in Lillian eine großartige Visionärin zu sehen, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie je irgendeine wahrhaft revolutionäre Idee gehabt hat, die sich auf mehr als nur auf ihr persönliches Benehmen ausgewirkt hätte. Alles, was sie bis dahin geschrieben hat, kannst du mit den Worten zusammenfassen
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