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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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ein anderer Arzt wäre für uns beide das beste.«
    »Nein«, sagte sie fest. »Sie können sich weigern, mich weiter zu behandeln, wenn Sie wollen, aber wenn Sie das tun, gehe ich trotzdem zu niemand anderem. Ich gehe einfach zu gar keinem Arzt mehr.«
    Sie starrten sich an. Eine Art ängstlicher Vorsicht trat in seine Augen.
    »Zoe«, sagte er leise, »ich glaube, Sie haben ein Problem. Ich meine ein besonderes Problem, kein körperliches; eins, das nichts mit der Addisonschen Krankheit zu tun hat, ihr aber Nahrung gibt. Sie wollen mit mir nicht darüber sprechen, das ist ganz klar. Ich kenne einen guten Mann, einen Psychiater — würden Sie sich mit ihm unterhalten?«
    »Wozu? Ich habe kein besonderes Problem. Vielleicht brauche ich lediglich mehr Medizin. Oder andere Medikamente.«
    Er trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte und blickte Zoe nachdenklich an. Sie saß ruhig da, die Beine an den Fußknöcheln gekreuzt, die Hände reglos gefaltet in ihrem Schoß. Sie war gefaßt, ausdruckslos. Sie saß gerade, den Kopf erhoben.
    »Ich erkläre Ihnen jetzt genau, was ich tun werde«, sagte er ruhig. »Ich werde die Ergebnisse Ihrer Blutuntersuchung und des Urintests abwarten. Wenn sie so aussehen, wie ich es erwarte, werde ich Sie anrufen und noch einmal bitten, zur weiteren Untersuchung und zur Behandlung in ein Krankenhaus zu gehen. Wenn Sie sich dann erneut weigern, werde ich Ihre Eltern in Minnesota informieren. Ich habe ihre Adresse in den Unterlagen. Ich werde ihnen die Lage erklären.«
    »Das können Sie nicht tun«, sagte sie und schnappte nach Luft.
    »Oh, doch«, sagte er, »ich kann und ich werde. Danach liegt die Entscheidung bei Ihnen und Ihren Eltern. Ich habe getan, was ich konnte, und es liegt nicht mehr in meinen Händen.«
    »Und Sie werden mich einfach vergessen«, sagte sie und begann zu weinen.
    »Nein«, sagte er traurig. »Das werde ich nicht.«
    Taumelnd ging Zoe nach Hause. Das Licht des Sommerabends verblaßte. Der Himmel war so bronzefarben wie die Flecken auf ihrer Haut. Mit Abscheu sah sie, wie häßlich die Leute auf den Straßen waren. Schweineschnauzen und Schlangenzähne.
    Es war eine Stadt von Wasserspeiern, die ihre Deformationen so offen zur Schau trugen wie sie selbst. Fast konnte sie das Heulen und Stöhnen überall hören. Die Stadt wand und krümmte sich. »Besondere Probleme«, wohin man blickte. Man hatte sie in eine Aussätzigenkolonie gesperrt, eine Kolonie der Verdammten, deren Geschwüre und Krankheiten offen oder verdeckt lagen.
    Diese Antworten, die sie auf Dr. Starks Fragen gegeben hatte — genaugenommen waren es keine Lügen gewesen.
    Sie war sich über alles im klaren: ihre Schwäche, die Übelkeitsanfälle, das Verlangen nach Salz, die Schwindelgefühle. Aber sie ignorierte diese Tatsachen, sagte sich, sie seien nur vorübergehend, ohne Konsequenzen. Sie Dr. Stark gegenüber zuzugeben, hätte ihnen eine Bedeutung verliehen, die vollkommen ungerechtfertigt war.
    Und wenn er nach psychischem oder emotionalem Streß fragte — nun, das ging ihn einfach nichts an. Sie wußte, worauf er hinauswollte, und war fest entschlossen, ihm den Zugang zu verwehren. Ihre Abenteuer gehörten ihr allein.
    Trotzdem betrübte sie seine Drohung, sie nicht weiterzubehandeln. Schon wieder eine Zurückweisung. Genau wie Kenneth sie zurückgewiesen hatte. Und ihr Vater. Er hatte sie zurückgewiesen, indem er sie ignoriert hatte, aber das war ja dasselbe. Sie kam nach Hause und dachte immer noch darüber nach, wie Männer Frauen mit einem Lachen wegstießen, als das Telefon klingelte. Es war Ernest Mittle.
    Ernie hatte sie nicht zurückgewiesen. Er rief beinahe jeden Abend an, und sie sahen sich mindestens einmal, manchmal sogar zweimal die Woche. Sie sah in ihm ein Bindeglied, ihren einzigen Anker, der sie noch mit der Hoffnung auf eine bessere Welt verband. Eine Welt, in der es keine Wasserspeier und keine Schmerzensschreie gab.
    Er wußte, daß sie beim Arzt gewesen war, und fragte, wie es ihr ergangen sei. Sie sagte, es sei alles in bester Ordnung, sie hätte die Untersuchung mit fliegenden Fahnen hinter sich gebracht. Der Doktor wollte nur, daß sie etwas mehr esse und etwas Gewicht zulege.
    Er sagte, das sei ja großartig, weil er sie nämlich für Samstag abend zum Essen in seine Wohnung einladen wolle. Er habe einen kleinen Truthahn gekauft, den er braten würde.
    Sie sagte, sie komme gern und sie würde ein paar von den Erdbeertörtchen mitbringen, die er so gern

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