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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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ihr, und was passieren würde, wenn ihm gesagt wurde, daß Zoe Kohler ihre Dose »verloren oder verlegt« hätte, wagte sie sich nicht vorzustellen. Es war alles so deprimierend, daß sie sich nicht einmal fragte, wie es ihnen gelungen sein mochte, das Tränengas bis zu ihr zurückzuverfolgen.
    Als sie an diesem Abend in ihr Appartement zurückkehrte, tat sie etwas völlig Irrationales. Sie durchsuchte ihre Wohnung nach der Tränengasdose, in dem Wissen, daß sie sich ihrer entledigt hatte. Das Schlimmste war, daß sie wußte, wie irrational es war, und trotzdem nicht aufhören konnte.
    Natürlich fand sie die Dose nicht. Aber sie fand etwas anderes. Oder besser verschiedene Dinge…
    Als sie Ernest Mittles Verlobungsring ganz hinten in der Kommodenschublade versteckt hatte, hatte sie die Schachtel noch einmal geöffnet, um einen letzten Blick auf den hübschen Stein zu werfen. Dann hatte sie die Schachtel nach hinten geschoben, aber sie konnte sich noch sehr genau daran erinnern, daß der Verschluß nach vorn gewiesen hatte.
    Als sie sie jetzt berührte, mußte sie feststellen, daß die Schachtel umgedreht worden war. Jetzt wies das Scharnier nach vorn, der Verschluß hingegen zur Rückseite der Schublade.
    Auch bei den in Seidenpapier gewickelten Perücken hielt sie eine feste Ordnung. Die blonde lag oben, die schwarze darunter. Jetzt waren sie vertauscht.
    Die Stapel Strumpfhosen, Höschen und Büstenhalter waren verrückt. Sie bewahrte sie immer so auf, daß die Säume genau aufeinanderlagen, und jetzt war nicht zu übersehen, daß jemand sie in der Hand gehabt hatte. Sie waren nicht etwa durcheinandergebracht worden, ganz im Gegenteil. Aber sie lagen nicht so, wie sie sie hingelegt hatte.
    Vielleicht hätte jemand, der weniger präzise und peinlich genau als Zoe Kohler war, es nie bemerkt. Aber sie bemerkte es und war sofort davon überzeugt, daß jemand in ihrer Wohnung gewesen war und ihre Besitztümer durchwühlt hatte. Sie wußte, daß ihre Privatsphäre wieder einmal grausam verletzt worden war; bestimmte Leute wollten ihre Geheimnisse aufdecken. Sie würden es weiter versuchen, und es gab keine Möglichkeit, ihnen Einhalt zu gebieten.
    Als Ernest Mittle anrief, tat sie alles, um munter und liebevoll zu klingen. Sie plauderten lange, und Zoe fragte ihn nach seinen Fortschritten bei seinem Computerlehrgang, seinem Job und der Urlaubsplanung — alles, um ihn am Reden zu halten und die Dunkelheit zurückzudrängen.
    »Zoe«, sagte er schließlich, »ich will dich ja nicht drängen oder so, aber — hast du schon über meine Frage nachgedacht?«
    Sie brauchte einen Augenblick, bis ihr einfiel, was er meinte.
    »Natürlich habe ich darüber nachgedacht, Darling«, sagte sie. »Jede Minute.«
    »Ich wollte dir nur noch einmal sagen, daß ich jedes Wort so meinte, wie ich es gesagt habe. Und ich war mir nie sicherer als jetzt. Genau das möchte ich tun. Ich will einfach nicht mehr ohne dich leben, Zoe.«
    »Ernie, du bist der liebste und rücksichtsvollste Mann, den ich je kennengelernt habe. Du bist so aufmerksam.«
    »Ja…, nun…, eh…, wann, glaubst du, wirst du deine Entscheidung fällen? Bald?«
    »Oh, ja. Bald. Sehr bald.«
    »Hör zu«, sagte er eifrig. »Am Freitagabend habe ich Unterricht, bis um halb neun oder so. Wie wär's, wenn ich irgendwo eine Flasche Weißwein kaufen und dann bei dir vorbeikommen würde? Ich meine, schließlich ist Freitag abend und wir können uns unterhalten und uns gemeinsam auf den Urlaub freuen. Einverstanden?«
    Sie besaß nicht mehr die Kraft, nein zu sagen. Jeder stieß sie herum — sogar Ernie.
    »Natürlich«, sagte sie benommen. »Freitag abend.«
    »So gegen neun«, sagte er glücklich. »Bis dann. Paß auf dich auf, Liebes.«
    »Ja«, sagte sie. »Du auch.«
    Er legte auf, und sie saß da und starrte den Hörer in ihrer Hand an. Ohne genau zu wissen, warum, rief sie Dr. Oscar Stark an. Natürlich geriet sie an seinen Auftragsdienst. Die Telefonistin fragte, ob sie eine Nachricht hinterlassen wolle.
    »Nein«, sagte Zoe. »Keine Nachricht.«
    Langsam ging sie in die Küche. Sie öffnete die Schranktür. Sie starrte auf die Massen von Pillen, Kapseln, Ampullen, Pülverchen und Zäpfchen. Es sah so albern aus. Spielzeug.
    Sie schloß die Tür, ohne etwas herauszunehmen. Nicht einmal ihr Cortisol. Nicht einmal eine Salztablette. Nichts würde eine neue Frau aus ihr machen. Sie war dazu verdammt, sie selber zu bleiben.
    Vage dachte sie, daß sie etwas essen sollte,

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