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Die dritte Weissagung

Die dritte Weissagung

Titel: Die dritte Weissagung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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zeigte.
    Nach einer Weile setzte sie ihren Weg fort.
    Unter der Kruste vermeintlicher Stille, die die Stadt umhüllte, herrschte allenthalben Unruhe. Eine Nervosität, die nicht erst fühlbar geworden war, seit der Zar vom Balkon des Winterpalastes aus Rußlands Eintritt in den großen Krieg erklärt hatte. Das war, erinnerte sich Irina, letztes Jahr im Juli geschehen. Schon im darauffolgenden Monat war der Name der Stadt in Pedrograd geändert worden .
    Sie beschleunigte ihre Schritte. Sie hätte die Randgebiete der Stadt auch - und ungleich schneller - auf ledrigen Schwingen erreichen können. Doch sie hatte die Transformation in eine Fledermaus immer als ihrer Art unwürdig empfunden und nutzte diese Möglichkeit nur in seltenen Fällen.
    Einmal kam ihr eine Patrouille entgegen. Die Stiefel der Soldaten hämmerten ein Lied des Terrors in die Stille der Nacht. Irina blieb unter einer Eiche stehen und wartete ab, bis die Kriegsknechte vorübermarschiert waren.
    Niemand nahm Notiz von ihr, und unbehelligt erreichte sie die Peripherie der Stadt, wo die Arbeiterfamilien in überfüllten Baracken zusammengepfercht lebten, während der Adel in seinen Häusern und Palästen in verschwenderischem Prunk schwelgte.
    Nicht mehr lange, wenn die Bemühungen der ansässigen Sippe fruchteten. Und wer mochte es bezweifeln?
    Am Vortag war Irina einem jungen Arbeiter zu der Stelle gefolgt, die sie jetzt wieder aufsuchte. Sie verbrachte eine Menge Zeit damit, sich ihr Essen auszusuchen, und seit Tagen quälte sie das Verlangen, wieder einmal richtig aus sich herauszugehen. Wieder einmal dem schrecklichen Fieber, das seit Anbeginn dieses geschenkten zweiten Lebens in ihr brannte, freien Lauf zu lassen.
    Meist mußte die Sippen die Spuren ihrer Gelage akribisch verwischen, damit die Obrigkeit und auch die Bürger nicht hinter das Geheimnis ihrer Existenz kamen.
    Hier jedoch, das hatte die Vergangenheit bewiesen, wurden Gewaltakte, und mochten sie noch so grausam sein, hingenommen.
    Irina klopfte gegen die Tür der Baracke, hinter deren verhangenen Fenstern kein Licht mehr brannte. Anfangs schien auch niemand das Klopfen zu hören. Doch Irina ließ nicht nach, und irgendwann öffnete sich die Tür unter wüsten Flüchen.
    Ein grobschlächtiger Mann - nicht der hübsche Junge ihrer Wahl -stierte mit weit aufgerissenen Augen, die dennoch nichts sehen konnten, ins Dunkel, und eine Stimme, noch lahm vom Schnaps, der die Kehle hinabgeronnen war, krächzte: »Verschwinde, Elender! Verschwinde, oder ich schlag' dir den Schädel ein ...!«
    Er hatte nicht einmal begriffen, daß eine Frau vor ihm stand.
    Irina hegte deshalb keinen Groll. Sie tötete ihn, ohne nachzudenken.
    Ihre Hand war nicht länger die Hand, die zärtlich streichelte. Sie war eine tödliche Waffe mit rasierklingenscharfen, überlang hervorstehenden Nägeln, und ein einziger dieser Nägel genügte, den Hals des Betrunkenen von einem Ohr zum anderen aufzuschlitzen. Das Blut platzte wie eine Fontäne aus dem prallvollen Gefäß. Irina wich nicht aus. Die Nässe durchdrang ihre Kleidung und verteilte sich auf dem Boden, noch bevor der röchelnd nach vorn Kippende die Erde erreicht hatte.
    Irina lenkte ihn mit ausgestrecktem Arm an sich vorbei und trat dann über ihn hinweg durch die offenstehende Tür, hinter der in diesem Moment die Stimme einer schlaftrunkenen älteren Frau er-tönte: »Was ist da los? Sergej? Schmeiß die Tür zu, sonst bekommst du einen Tritt! Gottverfluchter Hurensohn! Die Asche im Herd ist kalt, und wenn du nicht gleich .«
    Irina schloß die Tür von drinnen.
    Es gefiel ihr, zu sehen, ohne gesehen zu werden. Es war, als bewegte man sich im hellen Tageslicht mit einer Tarnkappe unter den Leuten.
    Es war ... aufregend. Immer noch, nach so vielen Jahren.
    Rasch sondierte sie das Innere der Baracke, in der es keine Zwischenwände gab, nur einen einzigen Raum, an dessen Fußboden sich Lager an Lager reihte, nur getrennt durch Tücher, die an gespannten Leinen aufgehängt waren und die Illusion einer Privatsphäre schufen.
    Sie hausen wie Tiere, dachte Irina ohne Mitleid.
    Dann fand ihr Blick den Gesuchten. Er schlief. Der Lärm hatte ihn nicht zu wecken vermocht. Wahrscheinlich hatte die Arbeit in der Munitionsfabrik ihn völlig ausgelaugt. Selbst ein in unmittelbarer Nähe angefeuerter Gewehrschuß hätte wahrscheinlich Mühe gehabt, ihn aus seinem tiefen Schlaf fahren zu lassen.
    Irina ging auf ihn zu.
    Die verhärmte Frau (seine Mutter?), die sich von einer

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