Die Drohung
Überraschung war gelungen.
Nach einstündiger Debatte über das anonyme Tonband war man sich einig, daß die wenigen Sätze das Wertvollste waren, was man in den letzten Wochen erreicht hatte. Es spielte dabei keine Rolle, daß weder Namen noch sonstige handfeste Anhaltspunkte genannt wurden: man wußte jetzt mit Sicherheit, daß das ›Hirn‹ ein Deutscher war.
Nach der dramatischen Vorführung des Tonbands kamen Beutels, Holden und Lepkin in Beutels' Zimmer zusammen. Oberstaatsanwalt Dr. Herbrecht war sofort mit einem Hubschrauber der Bundeswehr nach Wiesbaden geflogen, um die Stimme analysieren zu lassen, Oberkommissar Abels und drei Kommissare der Münchner Polizei suchten in den Karteien nach, ob eine Frau mit stark berlinischem Dialekt schon aktenkundig sei.
»Es ist nicht anzunehmen«, sagte Beutels nachdem sich die erste Verwunderung über diese anonyme Sendung gelegt hatte, »daß Bossolo bei einer völlig unbekannten Person Unterschlupf gefunden hat. Die Italiener, die auf dem Olympiabau arbeiten, haben ihre Stammkneipen, einen fest umrissenen Bekanntenkreis, sie bewegen sich in einer Art Getto. Daraus brechen sie nur ungern aus … ihr Heimatgefühl ist zu ausgeprägt. Es bleibt also festzustellen: Wo gibt es eine Berlinerin in München, bei der Italiener verkehren? Auch wenn wir bisher nur in die eigenen Hosentaschen guckten … das, meine Herren, muß ich von Ihnen verlangen: Diese wuchtige Dame mit der Baßstimme muß selbst unter eineinhalb Millionen Münchnern zu finden sein!«
Jetzt, in seinem Zimmer, trank Beutels erst einmal zwei Cognacs und zeigte, daß auch er Nerven besaß (was seine Kollegen immer bestritten). Er lief unruhig zwischen Fenster und Tür hin und her und blieb dann mit einem Ruck vor Lepkin stehen.
»Ich habe Sie allein zu mir gebeten, meine Herren«, sagte er, »weil der Unbekannte jetzt weiß, daß der amerikanische und der sowjetische Geheimdienst eingeschaltet wurden. Sein diesbezügliches Interesse – Sie konnten es seiner Stimme anhören und seinen Fragen entnehmen – wird von jetzt an seine weiteren Handlungen bestimmen. Er wird sich darauf einrichten, nicht nur gegen die deutsche Polizei, sondern auch gegen Sie zu kämpfen. Bisher waren Sie unbekannte Faktoren – jetzt stehen Sie mitten im Schußfeld. Wissen Sie, was das bedeutet? Ich liefere Ihnen gleich die Antwort: Der Mann wird seine vornehme Zurückhaltung verlieren. Er wird auf die Pauke hauen!« Beutels blickte von Lepkin zu Holden. Beide vermieden es, ihn anzusehen. Ihr Schuldgefühl war offensichtlich. »Ihre Agenten, die Bossolo in die Zange nehmen sollten – denn das ist mir jetzt klar, meine Herren, Sie wollten die deutsche Polizei durch eine Eigenaktion in den Hintern treten –, ihre Agenten haben sich wie Fernsehdetektive benommen! Bossolo hat aus ihnen Clowns gemacht. Ich will Ihnen nicht auf die Zunge treten, aber wenn ich Ihr Vorgesetzter wäre …«
Er ließ den Satz unbeendet, und Holden nickte schmerzlich. Auch Lepkin blickte versonnen drein. Er dachte an Abetjew und war froh, weit weg von Moskau zu sein.
»Es gibt Dinge unter Männern, die Freundschaften festigen«, sagte er und hielt Beutels sein Glas hin. Beutels schenkte noch einmal ein und vergaß auch Holden nicht, der beide Hände um den Cognacschwenker gelegt hatte, als müsse er ihn wärmen.
»Ihre Dienststellen werden von mir nichts erfahren. Aber ich muß Sie bitten, daß wir enger zusammenarbeiten und uns nicht gegenseitig mit immer neuen Aktionen überraschen. Herr Lepkin, ich nehme an, Sie haben sich sehr schnell Gedanken gemacht, nachdem Sie erfuhren, daß Bossolo die Anwesenheit von Russen erkannt hat.«
Lepkin sah in sein Glas. »Ich werde mich aktiv in die Suche nach der Berliner Dame einschalten.«
»Und wie?«
»Mir genügt ein Italiener von der Baustelle.«
Beutels blieb wieder rückartig stehen. Die leicht hingeworfene Antwort traf ihn wie ein Faustschlag. Er sah hinter ihr genau das kalte Grauen, das Lepkin entfesseln wollte.
»Wir sind hier in Deutschland –« sagte er gedehnt.
»Bin ich ein Idiot?«
»Wir lehnen hier Ljubljanka-Methoden ab. Und auch« – er wandte sich zu Holden um – »bei Ihnen, Holden, falls Sie sich innerlich darauf einstellen, würde ich verhindern, daß Sie Ihre berühmte Gehirnwäsche mit Wahrheitsserum und dergleichen Mätzchen anwenden. Ich weiß, ich weiß … es geht um 30 Millionen Dollar, um 150.000 Menschenleben, um eine Atomwolke über Westeuropa … und wenn man das vor
Weitere Kostenlose Bücher