Die Drohung
Bundesverfassungsschutzes, des Bundesnachrichtendienstes und des Bundeskriminalamtes, ja sogar unterstützt vom CIA und dem KGB, wie ein Blinder im Tunnel herumtappte. Beutels, daran gewöhnt, bei Erfolgen nicht beachtet, bei Mißerfolgen aber auf das Streckbrett der öffentlichen Meinung geschnallt zu werden, bewies diesmal eine auf alle anderen Nervösen ausstrahlende Souveränität.
»Das Revolutionäre dabei ist«, sagte er, »daß die deutsche Polizei nicht allein hirnlos herumläuft, sondern daß alles, was Staatsexekutive darstellt, sich auf die eigenen Stiefel pißt! Wir sind keine Hellseher, wir können nach Tatsachen ermitteln, und Tatsache ist, daß bisher noch nichts geschehen ist, bis auf ein kleines Feuerwerk und ein Loch auf den Olympiaparkplätzen. Alles andere bleibt nur Gerede und Geschreibe. Aber die Angst ist da, diese fürchterliche Angst, die uns alle im Darm juckt. Und warum ist die Angst da? Weil wir uns, dem Menschen, alles zutrauen. Weil wir ihm ohne Einschränkung zutrauen, daß er nur des Geldes oder eines unbekannten Hasses wegen Millionen auslöscht. Soweit ist es mit uns gekommen, daß ein Einzelner eine ganze Welt in Atem halten kann oder außer Atem bringt! Wo ist da noch ein Pfarrer, der von der Kanzel predigt: Und Er schuf den Menschen nach Seinem Ebenbild …?! Man sollte ihn auspfeifen!«
Die einzigen, die sich nicht langweilten, waren Ric Holden und der Franzose Jean-Claude Mostelle von der Sûreté.
Mostelle und eine Gruppe französischer Wissenschaftler experimentierten im Olympiastadion mit dem Strahlenmantel, der eine elektronische Zündung verhindern sollte. Die Sache klappte nicht richtig, vor allem wurde die gesamte Fernsehübertragung gestört, denn wenn schon ein unsichtbarer Schutzschild aufgebaut wurde, dann drangen zwar keinerlei Strahlen mehr in das Stadion hinein, aber natürlich auch keine hinaus. Jegliche Reportage über Funk und Fernsehen war also unmöglich.
Mostelle, der von allen Eingeweihten die Drohung am ernstesten nahm, stellte den Antrag, im Hinblick auf die allgemeine Sicherheit Funk und Fernsehen ausfallen zu lassen.
»Das ist völlig unmöglich!« sagte bei einer der Sondersitzungen der Bundesinnenminister aus Bonn. »Das würde bedeuten, daß wir der Öffentlichkeit die volle Wahrheit sagen … und die Panik, die wir gerade vermeiden wollen, ist da! So lobenswert die Bemühungen unserer französischen Freunde sind … wir müssen das gewagte Spiel zu Ende spielen.«
Am 10. Juli meldete sich auch das, was Beutels am meisten fürchtete: Die Wunderknaben – wie er sie nannte – traten auf.
Ein Pendler, ein Astrologe und – im deutschen Land immer am Tisch – eine Kartenlegerin. Während der Pendler vor Oberkommissar Abels und Oberstaatsanwalt Herbrecht sein Kügelchen aus Platin an einem Bindfaden über dem Stadtplan von München schwingen ließ und schließlich auf die Herzogspitalstraße zeigte und sagte: »Hier verbirgt sich der Täter!« – was allgemeine Heiterkeit auslöste, denn just auf diesem Fleck, wo das Kügelchen hielt, befand sich (im Stadtplan nicht gekennzeichnet, so weit sind die Kartographen noch nicht) ein Puff – legte der Astrologe, ein Herr Fiebermann aus Nieder-Olms, ein großes Horoskop vor mit vielen Himmelszeichen und Strichen und Winkeln und erklärte, der Unbekannte hieße Julius Humus und sei ein gebürtiger Stier, den jetzt gerade der Saturn kreuzte.
Beutels ließ die beiden weisen Männer sofort kassieren. Ihn machte nicht die Sicht ins Unbekannte unsicher, sondern die Tatsache, daß hier zwei völlig Fremde aufmarschierten und von einem Attentat sprachen, wo doch niemand außer einem kleinen Kreis von dessen Existenz etwas wußte.
Bei der Befragung – Beutels vermied das Wort Verhör – erklärten beide übereinstimmend, sie hätten das Schreckliche geträumt.
»Über dem Olympiagelände stand eine riesige Rauchwolke«, sagte der Astrologe. »Außerdem zeigt die Konstellation der Sterne eine Katastrophe an.«
Beutels tat etwas, was wenig Sinn und gar keinen juristischen Wert hatte, aber bei beiden Wundermännern sehr wirksam war: Er vereidigte sie zur Schweigsamkeit. »Wird ein Wort davon bekannt«, sagte er, »betrachten wir das als Landesverrat.« Dann entließ er die Warner in ihre Heimatorte.
Etwas anderes war es mit der Kartenlegerin. Sie hieß Emma-Luise Schibula, war in Smegörönömögie tief in der ungarischen Pußta geboren und konnte nachweisen, daß ihr Großvater König der Zigeuner gewesen
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