Die Drohung
das hätte man beim besten Willen niemandem einreden können. Beutels entschied, daß Housman im dichten Gebüsch liegen bleiben sollte bis zur Dunkelheit, und postierte einen jungen Polizisten als Wache daneben. Da Polizisten in Deutschland zum Alltagsbild gehören, erzeugte auch das keinerlei Interesse.
»Ein sauberer Schuß«, sagte Beutels, nachdem er Housman betrachtet hatte. »Genau in die linke Schläfe. Und mit einem so dicken Kaliber. Sie haben eine ruhige Hand, Genosse.«
Lepkin lächelte schwach. »Wir haben einen guten Schießstand«, sagte er bescheiden. »Und wieso schleichen Sie in Tutzing herum?«
»Es ist unsere Spezialität, immer an der richtigen Stelle zu sein.«
»Sie sind über alles im Bild?«
»Nein. Ich habe mir die Informationen selbst beschafft.« Es klang darin ein leiser Vorwurf mit, Beutels vernahm ihn deutlich.
»Ich dachte, Sie seien mit Bossolo beschäftigt, Lepkin.«
»Bei der Suche nach ihm stieß ich auf Tutzing.« Er blickte auf den Fleck, auf dem Lucretia gelegen hatte. Die Grasspitzen waren rot gefärbt, aber nur ein geübtes Auge bemerkte das. »Zwei Sekunden zu spät … ich mache mir und Ihnen einen Vorwurf, Towarischtsch.«
»Wer konnte mit so etwas rechnen! Am hellen Tage!«
»Für Housman spielt die Tageszeit keine Rolle.« Holden zog seine Jacke aus, es war wirklich so heiß, daß eine zarte Frau umfallen konnte. Nur war Lucretia nie zart gewesen. »Kümmern wir uns jetzt um Dulcan und Cortone, meine Herren. Und eine von den Bomben haben wir.«
Beutels fuhr herum, er war gerade dabei, verträumt über den See zu blicken. Ein herrliches Bild. Ein Schwingen und Gleiten lautloser Segel auf azurblauem Wasser.
»Was sagen Sie da?!« schrie er. »Und da stehen wir hier herum wie Rentenempfänger?!«
»Noch haben wir Zeit, Sir. Niemand weiß, daß uns der Platz bekannt ist. Außerdem kommen wir nicht an das Ei heran – es liegt sieben Meter tief in einem der Fundamente der riesigen Zeltdachstützen.«
»Das ist eine verfluchte Scheiße«, sagte Beutels. »Sofort zu Cortone! Er weiß ja nicht, was hier passiert ist. Jetzt kassiere ich den Impulsgeber.«
»Überlassen Sie ihn mir«, sagte Lepkin ruhig. »Bitte. Die Überzeugungskraft meiner Unterhaltung ist erwiesen. Kümmern Sie sich um das Stadion. Mit Cortone verhandle ich allein.«
»Lepkin –« Beutels holte tief Luft. Er wollte etwas sagen von Humanität und Menschenrecht, das auch ein Verbrecher beanspruchen kann, aber dann dachte er an die beiden Plutoniumbomben, an das unvorstellbare Chaos, das sie auslösen konnten, und er nickte, wie Minuten vorher auch Holden genickt hatte. »Viel Erfolg«, sagte er nur noch.
Sie kamen zu spät.
Cortone war aus dem Hotel ›Alpenrose‹ verschwunden. Wie der schläfrige Portier sagte, mit einem kleinen Handkoffer. Der Portier hatte gedacht, er ginge wieder ins Strandbad. In der Pension Lettenmayer vermißte man Ted Dulcan … Beutels, der nach Vorzeigen seiner Kriminalmarke sofort die Zimmer von Housman und Dulcan durchsuchte, fand alles in den Schränken eingeräumt. Aloys Lettenmayer konnte sich erinnern, seinen so stillen und angenehmen Gast vor fünf Minuten auf der Straße gesehen zu haben. Ganz ruhig, die Hände in den Taschen, den Tag genießend, ein Bummler, der viel Zeit hat.
»Das sind unsere Spezialisten«, sagte Holden ernst. »Hinter der Hausecke wird er äußerst schnell geworden sein. Für einen Dulcan sind fünf Minuten ein großer Vorsprung.«
Es zeigte sich, daß er recht hatte. Cortones Leihwagen war vom Parkplatz geholt worden. Die große Jagd begann.
»So, und jetzt sollen die amerikanischen und sowjetischen Kollegen sehen, daß wir Deutschen keine Pflaumenmännchen sind!« sagte Beutels. »Jetzt drücke ich aufs Knöpfchen und lasse die größte Fahndung anlaufen, die Bayern je erlebt hat.«
Er hob Lettenmayers Telefon ab und rief im Präsidium an. »Aktion eins!« sagte er knapp. »Wenn ich innerhalb von 12 Stunden nicht Dulcan und Cortone vor mir sitzen habe, erlebt die deutsche Polizei die größte Säuberungswelle ihrer Geschichte.«
Das war zwar eine leere Drohung, denn wenn ein deutscher Beamter erst einmal Beamter ist, so bleibt er das auf Lebenszeit, auch Unfähigkeit ist kein Grund, ihn zu benachteiligen, für solche Fälle gibt es stille Abseitsposten, wo man immer noch das Gefühl der Unabkömmlichkeit pflegen kann … aber wenn Beutels solche Tiraden von sich gab, wirkte das wie das Hineinblasen von Pfeffer in den Darm.
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