Die Drohung
Sekretärin Hermine Lohrmann, Vorzimmerdame von Beutels, Witwe eines Oberstleutnants, geborene Freiin von Babenfeldt, ein Drache, der Beutels bewachte wie den Nibelungenschatz. Außerdem liebte sie ihn heimlich, eine unglückliche, sogenannte Seelenliebe, mit der sie vollauf beschäftigt war und ihr ansonsten einsames Leben ausfüllte.
»Hat … hat sie was angestellt?« fragte Fräulein Zumbler.
»Noch nicht.« Beutels war außerordentlich leutselig. Sonst bellte er ungnädig: »Ich frage, nicht Sie!« wenn jemand es wagte, während einer Vernehmung seine eigene Neugier zu produzieren. Das Auftauchen des blonden, großen Mädchens mit der Anzeige ›Wir danken dem ehrlichen Finder‹ schien sogar eine gewisse Fröhlichkeit in ihm zu gebären. Er klappte sein Notizbuch zu, blickte auf, nickte Fräulein Zumbler freundlich zu und sog an seiner langen Brissago-Zigarre. »Das wär's also. Wo ist das Anzeigenformular?«
»Hier, Herr Kriminalrat.« Der Anzeigenleiter schob einen Zettel über den Tisch. Eine maschinenschriftliche Aufnahme des gesprochenen Textes … sie ergab gar nichts. Beutels winkte ab.
»Der Fall wird klarer«, sagte er später im Präsidium zu seinen Mitarbeitern. Unabhängig von der ›Sonderkommission Olympia‹ hatte er aus seinen Dezernaten eine eigene kleine Gruppe gebildet. Sie arbeitete in aller Stille parallel zu Dr. Herbrecht und Fritz Abels, um – wie Beutels es ausdrückte – ›die Eigenstaatlichkeit Bayerns zu betonen‹. »Meine Herren, ein Weib ist ins Spiel gekommen. Das ist ein grober Fehler unserer noch unsichtbaren Gegner. Wer solche Riesendinge mit Weibern kombiniert, muß ein Rindvieh sein.«
Am Abend fuhr er wieder hinaus zum Olympiagelände.
Fachingenieure tasteten mit Radargeräten die Fundamente der Stahlsäulen des Zeltdachs, des Stadions, aller tragenden Mauern und Wände ab. Von Frankreich sollte per Flugzeug ein Spezialgerät kommen … eine Röntgenkamera, die auch tiefste Betonsockel durchdringt.
»Na, wie steht's?« fragte Beutels. Er traf Abels in einem der riesigen Rundkeller des Stadions. »Wo tickt es?«
»Überall.« Abels verzog das Gesicht. »Es ist eine sinnlose Arbeit, im Eisenbeton nach Eisen zu suchen. Aber wir führen es stur durch. Wir haben plötzlich alle wieder gelernt, an ein Wunder zu glauben und auf dieses Wunder zu hoffen.«
»Und wie lange dauert die Durchtestung aller Fundamente?«
»Keine Ahnung. Auf jeden Fall länger als bis zum 26. August.«
»An dem um 15 Uhr ein Atompilz über München steht und fast alle Regierungschefs dieser Welt ausgelöscht sind.« Beutels setzte sich auf eine Bank an der gekachelten Wand. »Im übrigen ist das ein zuverlässiges Mittel zur Herbeiführung des Weltfriedens.«
»Das ist makaber, Herr Rat.«
»Alles hier ist makaber. Morgen müßte der dritte Brief kommen.«
»Nach diesem Inserat, ja. Ist etwas über das Mädchen am Anzeigenschalter bekannt geworden?«
Beutels legte die Hände flach auf seine Knie. »Gott denkt!« hieß es im Präsidium, wenn man ihn so dasitzen sah. »Nein. Wir haben nach den Angaben dieses Fräulein Zumbler eine Zeichnung anfertigen lassen. Enttäuschend. So sehen in München mindestens 30.000 Mädchen aus. Wir könnten die halbe Leopoldstraße verhaften. Warten wir ab, mein Bester.«
München-Harlaching
Es war eine gute Idee, Helga zur ›Süddeutschen Zeitung‹ zu schicken. Helga ist unauffällig, fragt nicht viel, kann den Mund halten (eine der verblüffendsten Eigenschaften bei einem Mädchen) und tut alles, was ich will.
Um allen Vermutungen vorzubeugen: Helga ist meine Schwester. Sechs Jahre jünger als ich – gerade 24 geworden –, von Beruf Fotografin und Männern gegenüber von einer geradezu beleidigenden Schnoddrigkeit. Ob sie schon mal mit einem geschlafen hat, weiß ich nicht. Ich habe sie einmal gefragt; ihre Antwort war typisch: »Kümmere dich um deinen eigenen Unterleib!« So ist sie. Ein kaltes Biest. Natürlich habe ich sie beobachtet, als Bruder interessiert man sich für solch eine Schwester, und ich besonders, denn ich habe viel Zeit, ich bin – wie schon erwähnt – ein mittelprächtiger Journalist, den sein Chefredakteur zu 70 Prozent aus Menschenfreundlichkeit beschäftigt und auch deshalb, weil es einfach eine Reihe von Themen gibt, über die andere nicht schreiben wollen, vor denen sie sich drücken, die ihrem Image schaden. Nie würde der große Theo Bach etwa über ›Wurstgroßhändler quälte seinen Hund‹ schreiben … ich tu es,
Weitere Kostenlose Bücher