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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Million Schrauben regneten herab … das ganze 175 Millionen wert!«
    »Es war Ihnen wohl eine Freude, das auswendig zu lernen?« Dr. Herbrecht wedelte mit seinem gelben Plastikhelm Luft über sein gerötetes Gesicht. »Sie deklamieren das wie Dantes Höllenfahrt.«
    »Es wird eine sein, Herr Oberstaatsanwalt. Wenn dieses Dach herunterbricht, brauchen wir alle Klosterpatres von Bayern, um Letzte Ölungen zu verteilen!«
    »Ich weiß, daß Sie Atheist sind«, sagte Herbrecht steif. »An den Pylonen wird der Sprengsatz nicht angebracht sein.«
    »An nicht, aber vielleicht in.« Beutels blickte an die rohe Holzdecke der Baracke. Er deklamierte wieder mit einer fürchterlichen, eintönigen Stimme: »Die wichtigsten der 40 Pylonen stecken bis zu 35 Meter tief in Fundamenten, von denen jedes aus 1.600 Kubikmeter Beton gegossen ist. Wir haben also die Auswahl: 40 Pylonen! Davon über die Hälfte in Fundamenten von der Höhe zehnstöckiger Häuser – nun suchen Sie mal! Und das ist nur eine Möglichkeit! Auch Ihr Radar hilft da nichts – denn da hier alles mit Eisenbeton gebaut ist, wirbelt die Nadel und tickt das Relais rund um die Uhr. Wo Millionen Kilogramm Stahl verbaut sind, da wollen Sie den Stahlkasten einer Sprengladung irgendwo eingemauert finden?«
    »Auf der Tischkante sitzen und schwarze Lieder singen, hilft auch nicht weiter!« rief Abels wütend. »Wir denken wie Sie nur noch an dieses Problem. Zur Zeit überprüft eine Abteilung alle am Bau Beschäftigten.«
    »O Himmel … das sind mal 3.000 Arbeiter, mal 2.000, mal 3.500 gewesen. Italiener, Spanier, Griechen, Türken, Jugoslawen, Franzosen, Finnen, Portugiesen, Schweizer, Holländer, Belgier, sogar Pakistanis und Inder. Die meisten sind nach Fertigstellung ihrer Bauten wieder abgereist. Saisonkräfte, für zwei Jahre nach München gespült und mit der nächsten Welle wieder weg. Wer weiß, wo sie heute an einem Staudamm im Gerüst hängen. Und einer von ihnen, nur ein einziger, kann an irgendeinem Tag irgendwo die beiden Bomben eingegossen haben. Was ist in diesem Trubel von Menschen, diesem Gewirr von Stahlmatten und Holz, Betonkies und Sand, Fahrzeugen und Maschinen, Staub und Gerüsten einfacher, als zwei solche Eier hinzulegen? Technisch gesehen ist diese Drohung geradezu lächerlich banal auszuführen, so banal, daß niemand auch nur einen Gedanken daran verschwendete. Und wenn einer daran gedacht hätte: Kann man über 3.000 Arbeiter und Techniker Tag und Nacht, Minute um Minute über zwei Jahre hinweg beobachten? Unmöglich! Mit der Technik wachsen in geometrischer Progression die Chancen von Attentätern. Der Fluch des Fortschritts.«
    »Sehr schön.« Oberstaatsanwalt Dr. Herbrecht setzte seinen gelben Helm auf den vornehmen Kopf. Er wirkte sichtlich beleidigt. »Wir haben uns Ihre Kassandrarufe angehört – über die Auswirkungen eines Attentats sind wir uns alle im Klaren. Auch darüber, was es bedeutet, wenn wir bis zur Eröffnung der Olympischen Spiele nichts finden … dann platzen sie nämlich, meine Herren. Dann müssen wir das Stadion sperren, Milliarden sind verpulvert, der größte Skandal, den die Welt seit ihrem Bestehen gesehen hat, ist perfekt, ein Skandal, der heute überhaupt noch nicht begreifbar ist.«
    »Und wir haben nichts in der Hand als die beiden Briefe«, sagte Abels leise.
    »Und die Anzeige in der ›Süddeutschen‹.« Beutels schob sich von der Tischkante. »Ich habe dem Minister gesagt, man solle sich überlegen, die 10 Millionen zu zahlen … das wäre billiger als ein atomvernichtetes München, als eine ausgefallene Olympiade mit Milliardenschaden.«
    »Und was sagte der Minister darauf?«
    »Er stand auf und flog nach Bonn zurück. Eine Debatte über die Milchpreiserhöhungen steht ins Haus.«
    »Milchpreise!« Abels schlug in einem Ausbruch von Temperament auf den Tisch, mit beiden Fäusten. »Was sind in einer solchen Situation 10 Millionen Dollar?«
    »Nichts!« Beutels drehte seine Zigarre zwischen den Lippen, eine Kunst, mit der er einmal sogar bei einem Polizeifest auf der Bühne glänzte. »Nur: Wer soll sie bezahlen? Aus welchem Etat? In keinem Regierungshaushalt sind 35 Millionen Mark für Erpressung vorgesehen.«
    Zwei Stunden später wußte man mehr. Ein Glücksfall kam der Sonderkommission zu Hilfe: Die Schalterangestellte bei der Anzeigenannahmestelle der ›Süddeutschen Zeitung‹ in der Sendlinger Straße erinnerte sich, wer den kurzen Text: ›Wir danken dem ehrlichen Finder‹ aufgegeben hatte.

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