Die Drohung
tief gekommen, später, in voller Montur, ging es besser, ich ging auf dem Seegrund spazieren – eine dreckige, schlammige Angelegenheit – und habe die Unterwasserscheinwerfer ausprobiert. Weit kann man nicht mit ihnen sehen, man sollte nicht glauben, was für eine dicke Wand Wasser sein kann, aber ich glaube, für den Zweck, den ich plane, reichen meine Taucherkünste jetzt aus.
Gustav hat mir genau Ort und Zeit verraten. Er hat mir auch auf der Karte gezeigt, wo sie ihre eigenen Froschmänner postieren, wo sie absperren und wie sie den Geldholer einkreisen wollen. Ein Riesenaufwand … danach muß es ihnen allen Ernst damit sein.
Zu Helga habe ich nichts gesagt. Zum erstenmal hätte sie vielleicht genaue Fragen gestellt, denn, wer im April bei einer Wassertemperatur von nur 10 Grad – ich habe es am Starnberger See gemessen – zu tauchen beginnt, als Amateur, nicht als Profi wie die Männer der Lebensrettungsgesellschaft, Pioniere, Polizeischwimmstaffeln und wer sonst berufsmäßig ins Wasser muß, der muß einen ganz ausgefallenen Grund haben oder eine geistige Verwirrung. Das letzte hätte Helga hingenommen. Sie sagt oft zu mir: »Hans, du bist nicht ganz normal!« Aber sie meint dann immer meine Pläne, die dann auch meistens bei meinem Chefredakteur abprallen wie Tropfen an einer Wachstuchdecke. Und die ›besondere Sache‹ will ich ihr nicht erklären. Ich weiß, was sie sagen würde: »Laß die Finger davon! Das ist zu heiß!«
Wahrhaftig – zwölf Kilogramm Plutonium, zur Explosion gebracht, sind heißer als tausend Höllen.
Was habe ich mir eigentlich vorgenommen?
Nur das, was jeder Reporter an meiner Stelle tun würde: Ich werde in den Chiemsee hinausschwimmen und die Übergabe des Geldes fotografieren. Die wasserdichte Kamera, die mir Friedel geliehen hat, ist mit einem starken Elektronenblitz ausgerüstet. Ein Foto genügt, zu mehr werde ich doch nicht kommen, denn sie werden sich wie die Haie auf mich stürzen. Dann muß ich weg sein, hineingetaucht in die schwarze Tiefe. Da ist es auch für einen erfahrenen Froschmann schwer, jemanden zu finden. Aber dieses eine Bild wird mich zum Star machen. Es ist der Beweis.
Der Beweis der Ohnmacht. Der Beweis, daß an jedem Tag der Olympischen Spiele unzählige Menschen über ihrem Tod sitzen oder mitten darin, daß es nur eines kleinen Funksignals bedarf, um die größte Menschheitskatastrophe auszulösen.
Und ich bin der einzige Außenstehende, der davon weiß.
Jetzt ist es 5 Uhr nachmittags. Gleich fahre ich los zum Chiemsee. Von der Frontscheibe meines VW habe ich das Schild ›Presse‹ entfernt, mit dem ich sonst überall offene Türen finde. Ich werde langsam, gemütlich zum Chiemsee fahren, wie ein Tourist, der viel Zeit hat. Die Stelle, wo ich ins Wasser gehe, habe ich gestern eingehend inspiziert. Es ist ein Privatgrundstück, eine Wochenendvilla mit Seeanstoß und Bootssteg. Man kommt ganz einfach in den Garten … eine Buchenhecke von zwei Meter Höhe faßt ihn ein. Was sind zwei Meter? Die Rolläden sind heruntergelassen, die Wiese mit Laub bedeckt, die Blumenrabatten ungepflegt. Ein Zeichen, daß die Besitzer dieser zauberhaften Villa lange nicht mehr am Chiemsee waren. Vielleicht verleben sie den Winter in Ascona oder auf Mallorca oder auf den Bahamas. Überwintern unter südlicher Sonne, das ist ja jetzt der große Trend. Jeder sehnt sich nach Sonne und Wärme … verständlich, wenn das tägliche Leben immer härter und kälter wird.
Hier also, hinter dieser verwilderten Wiese, beginnt mein Froschmannleben. Herrenchiemsee ist nicht weit, ich kann es deutlich sehen, und wie mir Gustav sagte, soll das Boot mit den 100.000 Dollar in meine Richtung abgeschickt werden. Es kommt mir also entgegen.
Herz, was willst du mehr?! Ich bekomme die Weltsensation frei Haus.
Vor einer Stunde habe ich meinen Chefredakteur angerufen. Der Mann ist ein Rindvieh. Es bleibt mir immer ein Rätsel, wie so etwas Chef eines großen, international bekannten Magazins sein kann. Aber es scheint jetzt in unserer Branche so zu werden, wie es in der Medizin schon lange bekannt ist: Nicht jeder, der Professor ist, stellt einen Gipfel der Wissenschaft dar. Zum Professorentitel gibt es viele verschlungene Wege. Der sicherste ist die Protektion. Warum soll es bei den Chefredakteuren anders sein? Nicht jeder, der auf einem Ledersessel sitzt, hat mehr Format, als daß sein Hintern genau auf den Ledersitz paßt. Wenn man gute Mitarbeiter hat, genügt das vollauf. Reden
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