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Die Drohung

Die Drohung

Titel: Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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trauen, auch Jugendfreunden nicht, ja gerade diesen nicht, denn sie wissen zuviel von einem, war Cortones vierte Lebensweisheit. Die drei anderen hießen: Sei immer schneller als der andere. Klugheit ist besser als Muskeln. Und: Warten können ist die Tugend der Sicheren. Mit diesen vier Grundregeln hatte er sein feudales Leben aufgebaut – sie erwiesen sich als Goldene Worte. Daß auch Dulcan so dachte, wußte er; deshalb war man sich nie in die Quere gekommen, achtete sich gegenseitig, hielt bei kritischen Situationen sogar zusammen, lieferte sich gegenseitig Alibis und grenzte die geschäftlichen Transaktionen genau gegeneinander ab. Bis Lucretia Borghi den jahrzehntelangen Frieden störte und Dulcan zum erstenmal in die Domäne Cortones einbrach.
    »Er muß verrückt geworden sein!« sagte Cortone zu Bill Smith, einem schmalen, rotschopfigen, sommersprossigen Burschen aus Irland, der nach Platzers schnellem Dahinscheiden auf den Platz des Leibwächters nachgerückt war. Cortone hatte Smith im Zirkus entdeckt, bei Barnum in der linken Seitenmanege, als er rückwärts durch einen Spiegel zielend Kerzen ausschoß. Nachdem sich Cortone überzeugt hatte, daß dabei keine Tricks verwendet wurden, sondern Smith tatsächlich ein phänomenales Auge besaß, engagierte er ihn als Trainer in seiner Kunstschützenschule. Niemand konnte etwas dagegen haben: Eine Sportschule mit allen nur denkbaren Sportarten hat auch einen Schießstand. Hier war Cortone gegenüber Dulcan im Vorteil: In einem Milch- und Käseladen haben Schützen nichts zu suchen. Unter den Augen der machtlosen Polizei bildete Cortone seine Leute aus.
    Der Ungarische Grill im Hilton ist berühmt. Kellner in ungarischer Landestracht servieren, eine Original-Zigeunerkapelle spielt zärtliche, schmachtende Weisen von Wein und Pußta, ab und zu singt sogar der Primas mit ›Joi Mama‹ und ›Brudderhärz‹ … eine Atmosphäre, die die New Yorker als Erholung von Jazz, Beat und Rock 'n' Roll suchen und lieben lernten. Hier konnte man romantisch werden … die große Sehnsucht der Amerikaner, die jährlich einige Millionen Dollar ausgeben, um an den Rhein zu fahren, die Ruinen der Ritterburgen zu bestaunen und in dem Gefühl zu baden, Romantik einzuatmen wie zu Hause in den Straßenschluchten Kohlendioxyd.
    Die Speisen im Ungarischen Grill sind scharf, tragen ungarische Namen und schmecken nach unendlicher Freiheit. Nur an die ungarischen Weine konnte man die New Yorker nicht gewöhnen … anstatt Tokajer oder ungarischen Riesling trank man Bier oder Whisky, einige Snobs sogar zu einem 100-Dollar-Dinner eine Cola, manchmal auch Champagner, und nach verschiedenen Anläufen, die Amerikaner stilecht im Ungarischen Grill zu bedienen, kapitulierte die Geschäftsleitung und servierte eben zu einem Szegediner Gulasch Whisky on the Rocks.
    Cortone sah Dulcan schon an einem Ecktisch sitzen, als er das Restaurant betrat. Dulcan trug eine weiße Nelke im Knopfloch, Cortone eine rote. Er mußte lächeln über den gleichen Geschmack, und etwas wie Wehmut überkam ihn, Erinnerung an die sizilianische Heimat, wo sie beide barfuß und dreckig auf den Straßen spielten und schon mit fünf Jahren die Touristen bestahlen. Dulcan war auf Taschendiebstähle spezialisiert, Cortone – immer ein schneller Läufer – machte es brutaler: Er riß den Damen die Handtaschen vom Arm und wetzte ab. Bis sie schreien konnten, war er längst im Labyrinth der Gäßchen verschwunden. Eine Personenbeschreibung bei der Polizei nützte gar nichts: klein, schmal, schwarze Locken, dreckig, zerlumpt … von der Sorte gab es einige hundert Kinder in der Gegend. Außerdem wurde das Spiel durchgespielt, das man später als Erwachsener auch in New York so erfolgreich praktizierte: Schnappten die Carabinieri Maurizio, so tauchte Ted (der damals noch Tino Dulcamera hieß) auf und bezeugte, daß sein Freund Maurizio bei ihm hinterm Haus gespielt habe und daher gar nicht der Täter sein konnte. Umgekehrt schwor Maurizio, daß sein Freund Tino ihm beim Besenbinden geholfen habe und daher nie und nimmer in die fremde Tasche hätte greifen können. Nach mehreren solcher Wechselspiele gaben es die Carabinieri auf, Maurizio und Tino überhaupt noch einzufangen und zu verhören. Es war vertane Zeit.
    Tief in solchen Gedanken trat Cortone an den Tisch. Dulcan erhob sich. Er war ein höflicher Mensch. Sein Gesicht mit der Römernase glänzte. Er hatte sich das Warten mit drei Aperitifs verkürzt.
    »Mauri, mein Freund

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