Die Duftnäherin
dort versammelt?«
»Die Juden. Sie sollen heilige Reliquien aus dem Dom gestohlen und geschändet haben.«
Cornelius schloss die Augen und holte mehrmals tief Luft. Wer auch immer in der Stadt bislang noch keine schlechte Meinung von den Juden gehabt hatte, würde spätestens jetzt vom Hass des gemeinen Mobs angesteckt werden. Selbst die gemäßigten Christen Kölns hatten mit den strengen Sitten und Gebräuchen der Juden schon immer wenig anzufangen gewusst. Allein die Behauptung, ein Jude hätte einen Frevel an den Heiligen der Stadt begangen, würde daher genügen, um auch noch diese gegen die jüdische Gemeinde aufzubringen. Zudem waren die Kölner auch so schon gereizt genug, denn die letzten Augusttage hatten die Stadt mit einer schwülen, stickigen Wärme überzogen, die einem untertags die Luft zum Atmen und in der Nacht den Schlaf raubte. Jeder noch so kleine Funke würde daher genügen, um das Pulverfass zu entzünden. Und was dann geschah, wollte Cornelius sich erst lieber gar nicht vorstellen.
»Kommt!«, hastig schob er sich an seinen Freunden durch die Haustür auf die Straße. »Wenn es uns nicht gelingt, den Aufruhr im Keim zu ersticken, wird es ein Gemetzel geben, bei dem niemand verschont bleibt.«
Sie konnten nicht nah genug an den Dom herangelangen, um zu verstehen, was auf dem Platz vor ihnen proklamiert wurde. Die Stimmung unter den Menschen war ebenso aufgeheizt wie die Luft. Schwitzende Leiber drängten gegeneinander, die Leute ächzten, schubsten und grölten Schlachtrufe.
Die Patrizier drängten sich weiter nach vorne und mussten dafür die Fausthiebe und Verwünschungen derer einstecken, die sie beiseiteschoben. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich weit genug vorgekämpft hatten.
Auf den Stufen vor dem Gotteshaus stand ein Mann, der mit lauter Stimme von dem begangenen Frevel berichtete. Die Juden seien in den Dom eingedrungen, hätten die heiligen Reliquien gestohlen, auf diese gespuckt und sie unter wildem Geschrei und fremden, gotteslästerlichen Tänzen zu Boden geworfen. Immer wieder hätten sie dies wiederholt, ihre schmutzigen Leiber an den Reliquien gerieben und sich auf eine Art und Weise an ihnen vergangen, wie kein noch so schlechter Christ es dulden könne. Schließlich hätten sie die heiligen Gebeine hochgehalten, mit einem Axtschlag in zwei Teile und danach am Boden in immer kleinere Stücke zerhackt, so lange, bis nur noch eine feine Pulverschicht von der ehemaligen Heiligkeit übrig war, auf die einer nach dem anderen urinierte.
Die Christen hörten gleichermaßen mit Wut und Abscheu den Ausführungen des Mannes zu und gaben das Gehörte an die hinter ihnen Stehenden weiter.
»So ein Unsinn!«, entfuhr es Wyland.
Mit einer schnellen Bewegung des Kopfes bedeutete ihm Cornelius nicht weiterzusprechen. »Das nützt nichts. Die Leute sind viel zu aufgebracht. Lass dich nicht auf eine Streitrede mit ihnen ein, sonst rollt dein Kopf als erster.« Sein Blick war eindringlich.
»Wir wollen einen Beweis!«, rief Cornelius nun dem Mann auf den Stufen zu. »Wo ist der Beweis für deine Worte?«
Mit Bestürzung sahen die Freunde, wie daraufhin der Bischof mit hängenden Schultern und schweren Schrittes vortrat und sich neben den Redner stellte. »Die Gebeine der heiligen Ursula sind verschwunden.«
Einen Augenblick herrschte auf dem Platz Totenstille. Dann reckten sich die ersten Fäuste in die Luft. »Dafür wird uns das Pack büßen!« – »Macht die Juden nieder!« – »Sie sollen brennen!«, tönte es nun von allen Seiten des Platzes.
Albrecht bekam eine Gänsehaut. Eine Menge in solch einer aufgebrachten Stimmung wieder zu beruhigen war unmöglich.
»Wir sind Christen!«, brüllte Cornelius gegen die Schreier an. »Sagt es den Menschen, Bischof! Wir sind Christen und keine Totschläger. Wir brauchen einen Beweis, dass die Ungläubigen das Unrecht an den Heiligen begangen haben. Wo ist der Beweis?«
In den vorderen Reihen wurde es darauf ruhiger. Die Augen derer, die nicht Tod oder Verbrennung gefordert hatten, waren nun auf den Bischof gerichtet. Sie warteten, was dieser auf die Forderung entgegnen würde.
Die Spannung auf dem Platz war zum Schneiden. Jeder spürte, dass es nun von den Worten des Bischofs abhing, ob die Menge zum Mob werden oder aber friedlich, wenngleich noch immer aufgebracht, wie es sich für ordentliche Christenmenschen gehörte, in ihre Häuser zurückkehren würde, um dort darauf zu warten, dass die Schuldigen in einem
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