Die Duftnäherin
Wasser.
Wyland hielt ihr einen Becher hin. »Du solltest etwas trinken, Esther.«
Sie wollte ablehnen, nickte dann aber, weil sie hoffte, auf diese Weise vielleicht die Übelkeit zu bekämpfen, die sie noch immer quälte. »Danke.«
Noch nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches getrunken. Nach dem ersten kleinen Schluck meinte sie, ihre Kehle würde inwendig verbrennen. Im nächsten Moment jedoch rann die Flüssigkeit warm in ihren Bauch hinab, und sie nahm erneut einen Schluck.
»Was ist ge…«, wollte sie fragen, brach dann aber ab. Sie wusste nur zu genau, was geschehen war. »Wo sind wir?«
»Wir fahren Richtung Norden. In Köln kannst du nicht bleiben.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Wir haben Verwandte in Antwerpen.«
»Hm, das liegt leider in der anderen Richtung.«
Esther zuckte mit den Schultern. Ihr war es gleich, wohin sie fuhren. Ihr war auch gleich, wo sie ankamen. Ihr war alles gleich.
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34 . Kapitel
B itte, Anderlin, hilf mir und sprich mit ihm.«
Es musste ernst um Jordans Gesundheitszustand stehen, denn Gawin hatte Anderlin noch nie um etwas gebeten.
»Wenn er mich für einen guten Lehrjungen hält, spricht doch nichts dagegen ein Schriftstück aufzusetzen. Und wenn er das nicht will, kann ich mir immer noch eine andere Stellung suchen.«
Anderlin rieb sich am Kinn. »Ganz dumm ist der Gedanke nicht. Doch warum glaubst du denn, dass Jordan keinen Gesellen aus dir machen will? Schließlich wertet das die Arbeiten, die du für ihn fertigst, doch auf.«
»Ich sage ja nicht, dass er es nicht will. Er könnte es nur einfach …«, er zögerte, »… er könnte es einfach vergessen.«
»Ist also noch schlimmer geworden, was?«
Gawin nickte. »Es geschieht oft ganz plötzlich«, wusste er zu berichten. »In einem Moment ist er noch ganz klar, zeigt mir, wie ich richtig mit dem Werkzeug umgehen und das Holz bearbeiten muss. Und dann«, er schnipste mit den Fingern, »dann ist es auf einmal, als sei er ein ganz anderer Mensch. Er murmelt Unverständliches vor sich hin, wütet herum und befiehlt mir Arbeiten zu verrichten, die ich schon Tage zuvor erledigt habe. Neulich gar fragte er mich, wer ich sei und was ich in seiner Werkstatt zu suchen hätte.«
Anderlin seufzte schwer. Wie jeder andere hatte auch er die Veränderungen bemerkt, die mit dem alten Jordan vorgingen. Manch einer hatte diesen Umstand gar für sich ausgenutzt. So hatte erst neulich ein junger Bursche, der sein Geld mit Töpferarbeiten von schlechter Qualität verdiente, lauthals in der Wirtsstube verkündet, dass er Jordans Waren nicht mehr bezahlen müsse, weil er ihm gegenüber behauptet habe, ihn schon längst dafür entlohnt zu haben. Wenn Anderlin nur daran dachte, wurde ihm das Herz schwer. Der alte Zimmermann war in jüngeren Jahren ein hochangesehener und geschätzter Bremer gewesen, auf dessen Urteil die Menschen hörten und dem sie vertrauten. Nie hatte er Wert darauf gelegt, mit seiner Arbeit Reichtümer anzuhäufen, und seine Zunft hatte er vertreten wie kaum ein anderer. Faulheit war für ihn ebenso wie überhöhte Preise ein Ding der Unmöglichkeit. Er arbeitete gut und gewissenhaft, keine Aufgabe schien ihm zu schwer. Über viele Jahre hinweg war er der Sprecher der Zimmermannszunft gewesen, und noch immer fanden die Ratschläge des »weisen« Jordan, die er in guten Momenten nach wie vor gab, Gehör. Nur war den meisten eben entgangen, dass diese guten Momente immer seltener wurden.
»Ich werde dich begleiten und mit ihm sprechen«, entschied Anderlin und stemmte sich von der Bank hoch.
»Seit wann muss ich einem Schreiber sagen, dass ich einen Lehrjungen habe?«
Es war kein guter Tag, erkannte Anderlin sofort, um Jordan darum zu bitten, einen Vertrag aufzusetzen. Der Zimmermann war heute so klar und hellwach, dass Anderlin sich fast wünschte, er hätte ihn in einem weniger guten Zustand angetroffen.
»Du bist nicht mehr der Jüngste, mein Freund. Was ist, wenn du ein Treppengeländer reparierst und dabei in die Tiefe stürzt? Wenn du Gawin dagegen als Lehrjungen anerkennst und dies mit einem Schriftstück offenkundig machst, könnte er während deiner Genesung die gesamte Arbeit verrichten und du sogar das gleiche Geld von den Kunden dafür einfordern, weil er in deinem Auftrag und mit deinem Wissen die Sachen hergestellt hat.«
Das machte den Alten nachdenklich.
»Und überleg mal, willst du denn noch ewig so viel arbeiten müssen? Merkst du nicht auch manchmal deinen Rücken?«
»Was hat mein
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