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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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geben.«
    »Also soll ich ihn nicht wie einen Gleichgestellten behandeln?«
    »Sei einfach du selbst, mein Kind. Alles andere wird sich finden.«

    Als Gawin die Werkstatt betrat, knurrte Jordan ihn an, dass er spät dran sei. Eine Erklärung wollte der Alte nicht hören, und so machte sich Gawin einfach an die Arbeit, die er am Vortag nicht mehr beendet hatte.
    Die veränderte Situation Annas und damit auch seine eigene ließ ihm den Kopf schwirren. Nach dem Besuch bei Siegbert hatte Anna ihn noch bis zur Werkstatt begleitet und war nun auf dem Weg zu Margrite, um alles mit ihr zu besprechen. Er zweifelte daran, dass es unter diesen veränderten Vorzeichen richtig war, die Geschichte, sie seien Geschwister, noch länger aufrechtzuerhalten. Schließlich gab es keinen Grund mehr, weiterhin zu lügen. Doch Anna war anderer Ansicht. Und warum ihm tatsächlich so viel daran lag, ihr bisheriges Verhältnis zueinander aufzuklären, bevor sie allen Bremern ein für alle Mal als Bruder und Schwester galten, behielt er lieber für sich. Was sollte er auch sagen? Dass er ein begehrliches Zucken in seinen Lenden spürte, sobald sie in seiner Nähe war? Dass ihm in ihrer Gegenwart bewusst wurde, dass der Junge nun zum Manne wurde? Er schüttelte den Kopf. Nein, es sollte wohl nicht sein. Sie waren Bruder und Schwester, und dabei blieb es.
    Von der Straße drang ein lautes Rumpeln in die Werkstatt, an deren Tür nur wenig später heftig geklopft wurde. Da Jordan weiter seine Arbeit verrichtete und nicht einmal aufsah, ging Gawin zur Tür und blickte nach draußen. Vier Männer standen vor ihm, einer breiter als der andere.
    »Wir liefern den Baumstamm«, sagte einer von ihnen, drehte sich um und deutete auf den Karren hinter sich, vor den zwei Ochsen gespannt waren und dessen Ladefläche gut doppelt so groß war wie die der Fuhrwerke, die sonst in der Stadt unterwegs waren.
    »Meister!« Gawin drehte sich um. »Erwarten wir die Anlieferung eines ganzen Baumes?« Es klang spöttisch.
    Schlurfend kam Jordan heran.
    »Jetzt müssen wir für dieses Ding hier auch noch Platz schaffen.« Verärgert sah er sich um. »Aber es hilft ja nichts. Draußen können wir’s wohl kaum lagern. Schafft den Stamm hier herein.«
    Gawin trat beiseite und hielt die Tür auf, während die vier Männer all ihre Kraft aufbieten mussten, um die schwere Last zunächst vom Wagen zu rollen und danach mit Unterstützung der Ochsen teils ins Haus zu ziehen, teils zu hieven.
    »Wohin?«
    »Dort an den Rand.« Jordan deutete mit der Hand auf eine Stelle. »Und beschädigt ihn mir nur ja nicht. Das Holz darf keiner Spannung ausgesetzt werden und brechen, sonst können wir es nicht mehr gebrauchen.«
    So vorsichtig es ging, schoben sie den Stamm an die zugewiesene Stelle auf den Boden und verließen sogleich wieder die Werkstatt. Gawin deutete einen Gruß an und schloss dann hinter ihnen die Tür.
    »Was wollt Ihr daraus fertigen, Meister?«
    »Ich? Ich überhaupt nichts. Du wirst das Vergnügen haben.«
    »Ich? Aber ich habe noch nie einen solchen Stamm bearbeitet. Was soll ich daraus denn herstellen?«
    »Das fragst du noch? Der Bischof scheint dir zuzutrauen, dass du in der Lage bist, aus diesem ungehobelten Riesentrumm eine übergroße Madonna zu schnitzen. Und ich kann während dieser Zeit zusehen, wie ich meine Arbeit schaffe. Pah!« Er spuckte auf den Boden.
    »Aber das kann ich nicht.«
    »Das habe ich dem Bischof auch ausrichten lassen. Doch er scheint es besser zu wissen und traut dir diese Fähigkeit zu. Er hat auch bereits eine kräftige Anzahlung geleistet und das Arbeitsmaterial beschafft, wie du siehst. Die Frage, ob du es dir zutraust oder nicht, hat sich damit erledigt. Du musst die Madonna nun fertigen, ob du willst oder nicht.«
    »Aber …« Gawin schwieg. Die begonnene Debatte fortzuführen würde nichts bringen. Aber dafür war nun ein guter Zeitpunkt, seinem Meister mit einem anderen Ansinnen zu kommen.
    »Meister, wenn Ihr wirklich Hilfe braucht, wüsste ich jemanden.«
    »Ja?«
    »Hanno. Der junge Bursche, den Ihr schon ein paar Mal als Aushilfe hattet. Er möchte Lehrjunge werden, genau wie ich.«
    »So fleißig wie du ist er aber nicht.«
    »Aber das wird er sicher werden.«
    Ein Lächeln huschte über Jordans Gesicht.
    »Aber du lernst ihn an. Und wenn er nicht spurt, setze ich ihn wieder vor die Tür.«
    »Selbstverständlich, Meister.«
    »Und ich werde ihm den Lehrgulden nur dann bezahlen, wenn er sich für mich bereits gerechnet

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