Die Duftnäherin
er Jude war.«
Von Goossens Gesichtszüge veränderten sich augenblicklich. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen, seine Brauen zogen sich wütend zusammen, und seine Lippen pressten sich fest aufeinander. »Judenhass? Ich kann dieses Pack, das ständig gegen die Juden predigt und hetzt, nicht ausstehen, verdammt noch mal!«
Esther zuckte bei diesem Gefühlsausbruch zusammen.
»Oh, bitte entschuldigt. Ich wollte Euch nicht erschrecken. Doch ich habe schon viele Freunde wegen dieses Wahnsinns verloren.«
Wyland nahm Esther bei der Hand. »Ich habe Esther in der Hoffnung hergeführt, dass sie eine Zeitlang bei dir wohnen kann, Siegbert. Ich weiß nicht, wie sich die Dinge in Köln entwickeln, und dein Haus schien mir der einzige, wirklich sichere Ort für sie zu sein.«
»Selbstverständlich!« Er sah Esther an. »Vielleicht könnt Ihr hier den Schrecken vergessen, den Ihr erlebt haben müsst und der Euch noch immer ins Gesicht geschrieben steht.«
Die Jüdin schlug die Augen nieder, ohne ein Wort des Dankes hervorbringen zu können.
»Hab Dank, mein Freund. Ich selbst werde nach Köln zurückkehren und dir Nachricht schicken, sobald ich mir über den dortigen Stand der Dinge Überblick verschafft habe.«
»Aber zunächst einmal«, Siegbert klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter, »essen und trinken wir gemeinsam, und du erzählst mir, was sich in der Stadt ereignet hat. Außerdem wird dir, so wie du aussiehst, ein wenig Schlaf ebenso guttun wie ein Bad.«
Wyland atmete einmal tief durch. »Ich bin froh, dass wir hierher zu dir gekommen sind.«
»Ich auch, mein Freund, ich auch.« Von Goossen drehte sich zu seiner Haushälterin um, die die Unterhaltung in einigem Abstand verfolgt hatte und nun offenbar auf Anweisungen ihres Dienstherrn wartete. »Gertrud, richte Zimmer für unsere Gäste her und nimm dich Esthers an.«
»Ja, Herr!«
Sie trat an die junge Frau heran und griff vorsichtig nach ihrem Arm. »Komm, mein Kind.«
»Ach, und, Gertrud?«
»Ja, Herr?«
»Lass einen Boten nach meiner Enkelin schicken. Gewiss wird es Esther helfen, eine Begleiterin an ihrer Seite zu haben, die sich im gleichen Alter wie sie befindet.«
»Du hast eine Enkelin?« Wyland zog verblüfft die Augenbrauen in die Höhe.
»Ja, das habe ich.« Der Stolz, der in Siegberts Antwort mitschwang, war unüberhörbar. »Ich werde dir bei einem Glas Wein davon erzählen.« Er lotste seinen Gast in Richtung Kontor, während Esther mit der Haushälterin ging, die sie behutsam die Stufen ins Obergeschoss hinaufführte.
Gertrud wusste, dass ihr Dienstherr stets bereitwillig half, wobei er ihrer Meinung nach oft weit mehr gab, als nötig war. Doch bei diesem jungen Mädchen sah sie das anders. Die wenigen Bruchstücke, die sie von der Unterhaltung mitbekommen hatte, und der Anblick der Jüdin genügten ihr, um zu wissen, dass diese arme Seele bereits mehr hatte sehen müssen, als es für einen jungen Menschen gut sein konnte. Sie würde sich ausgiebig um sie kümmern, beschloss sie und führte den Gast in ein Zimmer, von dem sie fand, dass es eines der schönsten im ganzen Haus war. Die Wände waren mit Teppichen geschmückt, und zwei große Fenster erhellten den Raum bis in den kleinsten Winkel hinein.
»Habt Ihr ein Wechselkleid, das ich für Euch waschen lassen kann?«
Esther schüttelte langsam den Kopf.
»Nicht mehr, ich habe zuletzt nur noch das hier retten können, sonst nichts.« Sie zog ihren Gebetsschal unter der Kleidung hervor und breitete den zerknitterten Stoff mit sorgsamen Handbewegungen auf dem Bett aus.
Gertrud wusste nicht genau, wofür dieser Schal gut sein mochte, erkannte jedoch an der Art, wie die Jüdin ihn glatt strich, dass er von großer Bedeutung für sie war. Ihrer Meinung nach hätte auch dieser eine Wäsche vertragen können, doch sie verkniff sich die Bemerkung.
»Vielleicht wollt Ihr Euch zunächst ein wenig hinlegen und ausruhen. Ich gebe Euch Bescheid, sobald die Enkelin des Herrn von Goossen eingetroffen ist, und mache Euch mit ihr bekannt.« Sie lächelte ihr aufmunternd zu und ging zur Tür, die sie vorsichtig hinter sich ins Schloss zog.
Esther stand noch immer da, unschlüssig, ob sie sich tatsächlich aufs Bett legen und ein wenig ausruhen sollte. Die Haushälterin war sehr freundlich zu ihr gewesen, und dennoch gab ihr hier nichts das Gefühl, sich wie in ihrem alten Heim getrost auf das Lager niedersinken lassen zu können. Zögerlich setzte sie sich daher auf die Bettkante und
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