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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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sah zum Fenster hinüber, durch das sie einen Blick auf den nicht weit entfernten Bremer Dom werfen konnte. Sie hatte schon von dem gewaltigen Gotteshaus gehört, auf das die Bürger dieser Stadt ebenso stolz waren wie die Kölner auf das ihre. Der Gedanke blitzte in ihr auf wie die Spitze eines Speers im Sonnenlicht. Nicht dass ihr der Dom und der Protz, den die Kölner ihrem Gott widmeten, von großer Bedeutung schienen. Doch solange sie denken konnte, hatte sie das riesige Gebäude mit der Stadt verbunden, die ihre Heimat gewesen war und es nun nie wieder sein würde. Mit geradem Rücken und hochgezogenen Schultern saß sie da und blickte hinaus, während ihr die Tränen in einem nicht enden wollenden Strom über die Wangen liefen und auf ihr Kleid tropften.

    Sie wusste nicht, wie lange sie so dagesessen hatte, als es vorsichtig klopfte und sie ihren Blick zur Tür wandte, ohne jedoch zum Eintritt aufzufordern. Zögerlich wurde sie darauf geöffnet, und Gertrud lächelte sie an.
    »Esther? Darf ich Ihnen Anna, die Enkelin unseres Hausherrn, vorstellen?«
    Eine junge Frau, nur wenige Jahre älter als sie selbst, mit schimmernd blonden, fast schon weißen Haaren betrat das Zimmer. Sie trug ein Kleid aus feinstem Stoff, und als sie näher trat, breitete sich im gesamten Raum ein so lieblicher, hinreißender Duft aus, dass Esther sich von einer wahren Wolke des Wohlgeruchs eingehüllt fühlte. Sie erhob sich von der Bettkante, machte aber keinen Schritt auf die andere zu.
    »Ich bin Anna.« Sie gaben sich die Hand.
    »Esther.«
    »Gertrud berichtete, dass du eine Weile hier im Hause wohnen wirst.«
    Die Jüdin nickte schüchtern und senkte den Kopf, sagte aber nichts. Anna wurde unsicher und warf Gertrud einen schnellen Blick zu. Die Ältere bedeutete ihr, es weiter zu versuchen.
    »Hättest du vielleicht nachher, wenn du dich ein bisschen ausgeruht hast, etwas Zeit für mich? Ich bin gerade dabei, unten im Haus einen Raum mit noch ein paar fehlenden Dingen auszustatten, um dort die Kleider zu verkaufen, die ich fertige.«
    Esther sah auf. »Gern.«
    Anna war sich nicht sicher, ob sie sich noch weiter vorwagen sollte, glaubte dann aber, das Richtige zu tun. »Gertrud hat mir in kurzen Worten berichtet, was dir zugestoßen ist.« Sie ging zu der Jüngeren und nahm ihre Hand. »Ich hoffe, dir dabei helfen zu können, den Schmerz hinter dir zu lassen.«
    »Danke.« Die Jüdin räusperte sich, brachte jedoch kein weiteres Wort hervor. Anna ließ ihre Hand wieder los.
    »Ich bin unten, wenn du mich suchst. Komm, wenn dir danach ist. Ich warte dort auf dich.« Sie musterte den Gast. »Würdest du gern dein Kleid waschen lassen? Gertrud könnte sich darum kümmern, während du derweil etwas von mir tragen kannst.«
    »Das wäre sehr gütig.«
    »Wunderbar!« Anna lächelte. »Ich werde mich beeilen und dir eines vor die Tür legen.« Sie wollte noch etwas sagen, um die angespannte Situation weiter zu entkrampfen. Doch sie hatte schon mehr gespielte Fröhlichkeit an den Tag gelegt, als es ihrem Wesen entsprach. Deshalb ließ sie es gut sein und bedeutete Gertrud, mit ihr zusammen den Raum zu verlassen.
    »Dann bis nachher.« Mit diesen Worten zog sie die Tür hinter sich ins Schloss. Kraftlos ließ Esther sich wieder auf die Bettkante sinken und richtete ihren Blick erneut auf den Dom.

    »Es ist die Angst vor dem großen Sterben, die die Menschen zum Äußersten getrieben hat.« Siegbert von Goossen war ebenso bestürzt wie verärgert über das, was Wyland ihm über die Geschehnisse in Köln berichtet hatte. »Hier gab es bisher nur wenige Pesttote. Aber ich fürchte, dabei wird es nicht bleiben.«
    »Bei uns war es mehr als nur diese schleichende, alles dahinraffende Krankheit. Es wurden ganz gezielt Hunderte von Juden wie Vieh abgeschlachtet. Der Herr allein weiß, wie sich die Stadt jemals wieder davon erholen soll.«
    »Wurden die Schuldigen überführt?«
    Wyland zuckte mit den Achseln. »Ich bin noch am Tage des Mordens mit Esther geflohen. Für ihren Vater konnte ich nichts mehr tun. Was danach in Köln geschah, weiß ich nicht.«
    »Was hast du jetzt vor?«
    »Nun, da ich Esther bei dir in Sicherheit weiß, werde ich so schnell wie möglich zurückkehren und Zeugnis darüber ablegen, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Ich weiß, wer den alten Benjamin ermordet hat. Und der Schweinehund wird mir dafür büßen.«
    Von Goossen nickte. »Gönn dir noch einen Tag, um neue Kräfte zu sammeln. Ein Pferd und was du

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