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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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zu dieser Jahreszeit immer tiefer in seine Höhle zurückgezogen und die steifen Glieder am schwachen Feuer gewärmt hatte. In den wenigen Monaten, die seither vergangen waren, hatte sich sein ganzes Leben verändert. Er war von einem Jungen zu einem Mann geworden, und das gute Essen hatte ihn so schnell wachsen lassen, als hätten seine Knochen nur darauf gewartet, endlich in die Höhe schießen zu dürfen. Er zog sich den Umhang fester um die Schultern und machte sich auf den Weg. Zuerst wollte er es in den einschlägigen Schänken versuchen. Am Hafen würde Hanno sich bei diesen Temperaturen wohl kaum aufhalten, so dass sich Gawin den Weg dorthin sparen konnte.
    Schon als er die Tür zur ersten Wirtschaft öffnete, drang ihm Hannos laute Stimme entgegen. Gawin verdrehte die Augen bei den Parolen, die er ihn grölen hörte, bezwang aber seinen Unmut und trat ein.
    »Da bist du ja!« Hanno war aufgesprungen und prostete ihm zu. »Ich habe doch gewusst, dass du dich schon noch besinnen wirst! Komm hier herüber, mein Freund, und setz dich! Lass uns trinken!« Er hob den Becher. »Das ist mein Freund Gawin!«, verkündete er lautstark in die Runde.
    Gawin machte ihm ein Zeichen, zu ihm herüberzukommen, als ein anderer Mann auf ihn zutrat. Er hatte den Lautzer noch nie zu Gesicht bekommen, wusste aber sofort, wer da vor ihm stand.
    »Sei willkommen! Man nennt mich den Lautzer. Hast auch du genug von der Knechterei, die nur den Meistern der jeweiligen Zunft die Beutel füllt?«
    Gawin wollte sich nicht streiten, doch die Art und Weise, wie dieser Kerl mit ihm sprach, weckte unwillkürlich seinen Widerspruchsgeist. »Ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit.« Er wollte es verbindlich klingen lassen, aber eine gewisse Schärfe war unüberhörbar.
    »Soso, ein zufriedener Lehrjunge, ja?« Der Lautzer machte eine Handbewegung über die Köpfe der anderen hinweg. »Dann bist du der einzige hier. Ich gratuliere dir.«
    »Danke!« Gawin sah an ihm vorbei zu Hanno. »Kommst du?«
    »Na, na, warum so abweisend? Keiner hier missgönnt dir dein kleines Glück bei deinem Meister.« Der Lautzer sprach sehr langsam und legte Gawin den Arm um die Schulter, als wären sie gute Freunde. »Wir hier freuen uns immer, wenn es unter uns vielen endlich einmal einen gibt, der nicht ausgebeutet wird. Keiner von uns hat überhaupt gedacht, jemals einen solchen Burschen zu Gesicht zu bekommen.« Seine Augen glitzerten gefährlich, doch Gawin hielt seinem Blick mit spöttischer Miene stand, obwohl sich ein ungutes Gefühl in ihm breitmachte.
    »Wir sollten darauf trinken, wie gut es dir geht, wenngleich du mit deiner Zufriedenheit uns alle hier verspottest, die wir für unsere Rechte kämpfen wollen.«
    »Ich verspotte niemanden!«, meinte Gawin und schüttelte den Arm des Lautzers ab.
    »Wer, sagtest du, ist dein Meister?«
    »Der Zimmermann Jordan. Und er ist nicht wie jene, die ihr beschreibt.«
    »Jordan, ja? Einer der ältesten Meister in der Stadt.« Der Lautzer ging einige Schritte umher und sah seine Zuhörer eindringlich an. »Wir haben ihn gefragt, deinen Jordan, ob er sich uns anschließen und im Rat für uns sprechen will. Er hätte es verdient, dort einen Platz zu haben. Wir wollten ihm helfen, doch er hat abgelehnt.«
    »Weil er zufrieden ist mit der bestehenden Ordnung.« Gawin war neben ihn getreten und sprach nun in der gleichen Weise zu den Anwesenden, wie der Lautzer es tat.
    »Zufrieden mit der Ordnung?«, echote dieser. »Wie kann man mit einer Ordnung zufrieden sein, die einigen wenigen das Recht gibt, über das Wohl und Weh vieler anderer zu bestimmen? Einige wenige, die sich den Bauch vollschlagen, ihren eigenen Wohlstand sichern und den hart Arbeitenden den Fuß in den Nacken setzen, um noch mehr Einnahmen aus ihrer Hände Arbeit zu ziehen?«
    Es gefiel Gawin nicht, wie sich die Lage entwickelte, aber er wollte sich auf keinen Fall in einen Streit verwickeln lassen. »Ich bin noch nicht lang genug hier, um mich mit allem auszukennen, was in der Stadt geschieht. Ihr habt eure Ansichten, ich die meinen. Belassen wir es dabei«, wiegelte er daher ab und gab Hanno erneut ein Zeichen, ihm nach draußen zu folgen. Doch der Lautzer legte ihm erneut die Hand auf die Schulter. »Wohl gesprochen, obwohl ich nicht glaube, dass du so harmlos bist, wie du dich gibst. Womöglich müssen wir damit rechnen, bald Besuch von den Bütteln zu bekommen.« Er kam mit seinem Gesicht bedrohlich nahe an Gawin heran.
    »Ich will nur mit meinem

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