Die Duftnäherin
bedächtig verschiedene Feilen benutzte, um das Antlitz der Madonna kunstvoll aus dem Holz zu schälen, schimpfte und fluchte Hanno über die Arbeitsbedingungen und den geringen Lohn. Gawin beobachtete es mit Sorge. Er wusste, dass Hanno sich neuerdings mit dem Lautzer, einem Gerbergesellen, abgab. Die aufwieglerischen Reden des Lautzers konnte man zwar als Geschrei eines unzufriedenen Tunichtguts abtun, doch Gawin bemerkte dennoch, welche Wirkung sie auf Hanno hatten. Dem Lautzer ging es um den zu geringen Lohn und das nicht vorhandene Mitspracherecht der Handwerker im Rat der Stadt, und er hatte bereits erschreckend viele Anhänger um sich geschart, die seine Parolen weitergaben. Hanno war sogar so töricht gewesen, den alten Jordan mit Reden dieser Art zu behelligen und ihn dazu bringen zu wollen, sich den Handwerkern anzuschließen und ihre Forderungen in den Rat zu tragen. Zum Glück hatte der Meister nicht viel mehr als ein Kopfschütteln für Hanno übrig gehabt, doch die Sorgenfalte über seinem Nasenrücken hatte sich beim Zuhören vertieft, was Gawin verriet, dass ihn Hannos Worte mehr beunruhigten, als er zuzugeben bereit war.
»Hast du dir mal überlegt, wie viel Geld die Kirche und auch die Stadt durch deine Madonna einnehmen werden, wenn sie vollendet ist?« Hanno stand mit verschränkten Armen vor der Werkbank und funkelte Gawin herausfordernd an. »Und was hast du davon?« Er senkte die Stimme. »Einen Lehrlingslohn bei einem senilen Greis.«
Gawin legte die Feile beiseite. »Was ist bloß los mit dir? Du meckerst wie eine Ziege, sobald der Tag beginnt, und hörst nicht einmal damit auf, wenn die Sonne schon längst wieder untergegangen ist.«
»Ich erkenne eben, was vor sich geht. Ganz im Gegensatz zu dir.«
»Wenn du die Arbeit hier dermaßen schrecklich findest, solltest du zurückgehen in den Hafen und kleine Jungs für dich arbeiten lassen.« Wütend ließ er sein Werkzeug auf den Tisch fallen. »Ich erkenne dich nicht wieder.«
»Was glaubst denn du, weshalb die ganzen armen Menschen an der Pest sterben, während die reichen noch keinen einzigen Toten zu beklagen haben?«
»Gewiss wirst du es mir verraten?«
»Es wurde ein Pakt geschlossen! Ein Pakt mit dem Teufel über die Anzahl der Seelen, die er mit sich nehmen darf. Und die Reichen haben ihr Leben mit viel Geld bei Satan ausgelöst, was die Armen natürlich nicht konnten.«
Gawin tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Jetzt hast du wohl völlig den Verstand verloren!«
»Ach ja? Hast du’s denn noch immer nicht begriffen? Es geht nur um Macht und Geld. Und wer weder das eine noch das andere besitzt, ist dem Tode geweiht.« Hanno machte eine Geste in Richtung Tür. »Du bekommst ja nichts mit, weil du dich hier drinnen verschanzt und den ganzen Tag nur an deiner Madonna feilst. Doch geh einmal auf die Straße hinaus! Da hörst du es überall.«
Gawin nahm seine Feile zur Hand, um sich wieder an die Arbeit zu machen, als Hanno ihn am Arm packte.
»Ich sage dir, wenn wir jetzt nicht zusammenhalten und uns der gemeinsamen Sache anschließen, sind wir verloren.«
Gawin machte sich mit einer heftigen Bewegung los. »Und ich sage dir, geh zurück an die Werkbank und lass mich arbeiten. Oder scher dich fort!«
Hanno funkelte ihn wütend an, trat mit dem Fuß gegen den Tisch und stürmte hinaus. Lautlos kam Jordan herangeschlichen und blieb vor Gawin stehen.
»Er trägt viel Zorn in seinem Herzen. Du musst achtgeben, dich nicht bei ihm anzustecken.«
»Das werde ich nicht!«, erwiderte Gawin heftiger, als er beabsichtigt hatte.
Jordan nickte nachdenklich, warf noch einen Blick auf die Statue und schlich dann ohne ein weiteres Wort zurück in den Nebenraum.
Für Anna war es jeden Morgen wieder ein Erlebnis, die Türen zu ihrem Arbeitszimmer aufzustoßen und sich an den vielen Stoffen und Farben zu erfreuen. Esther hatte erst gestern einem Kleid mit einer aufwendigen Halsstickerei den letzten Schliff verliehen, und Anna freute sich darauf, es seiner Besitzerin am heutigen Tag durch einen Boten überbringen lassen zu können. Zusammen kamen sie in einer Woche inzwischen auf drei Kleider, die mit ihren Duftnähten und Stickereien an Einzigartigkeit ihresgleichen suchten. Schon jetzt konnte Anna den vielen Anfragen nicht mehr nachkommen und sann deshalb über die Anregung ihres Großvaters nach, noch ein oder zwei zusätzliche Näherinnen einzustellen.
»Es ist wunderschön geworden.« Esther war an ihre Seite getreten und
Weitere Kostenlose Bücher