Die Duftnäherin
Tür und sah Anna nach, die folgsam die Stufen hinunterstieg und sich auf den Weg zu Jordans Werkstatt machte. Kurz drehte sie sich noch einmal um und winkte Margrite zum Abschied. Bei dem Gedanken, dass die Freundin sich bei Binhildis angesteckt haben könnte und damit dem Tode geweiht war, traten ihr unwillkürlich die Tränen in die Augen.
Und auch Margrite, die zurück ins Haus ging und leise die Tür hinter sich schloss, fragte sich schweren Herzens, ob es vielleicht das letzte Mal gewesen war, dass sie die junge Frau, die für sie wie eine Tochter war, zu Gesicht bekommen hatte.
Als Anna die Werkstatt betrat, schlug ihr als Erstes eine Wolke Holzstaub entgegen. Gawin sah von seiner Arbeit auf.
»Anna? Was machst du denn hier?«
Sie wollte ihm mit einer spaßigen Bemerkung antworten, fragte dann aber, mit den Gedanken noch immer bei Margrite, nur: »Darf ich dich nicht einfach besuchen kommen?«
Er legte die Feile beiseite und kam auf sie zu. »Nun sag schon. Was ist los?«
Sie beugte sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich muss mit dir reden.«
Sie wirkte so niedergeschlagen, dass sich ihm die Sorge sofort wie ein Stein auf die Brust legte. »Was ist geschehen?«
Anna sah sich um. »Ist Hanno nicht hier? Ihn betrifft es ebenso.«
»Er ist weggegangen. Der Herr allein weiß, ob er wiederkommt.«
Der alte Jordan trat aus dem angrenzenden Raum zu ihnen herein, erkannte Anna und verschwand ebenso lautlos wieder, wie er gekommen war.
Anna ging zu einem Holzbrett, das lose über zwei Baumstümpfe gelegt worden war, und setzte sich. »Ich war eben bei Margrite.«
»Und?«
»Sie hat mich an der Tür abgewiesen.«
»Weshalb? Habt ihr euch gestritten?«
»Wenn es nur das wäre. Aber sie wollte mich nicht ins Haus lassen, weil Binhildis dort ist. Anderlin hat sie auf der Straße gefunden. Sie ist krank.«
Ohne dass sie es ausgesprochen hatte, wusste Gawin sofort, wovon sie sprach. Anna nickte still. »Ich wollte Hanno und dir Bescheid sagen. Ihr solltet euch für eine Weile vom Haus fernhalten.«
»Aber ich habe meine gesamten Sachen dort.«
»Du wirst ja auch dorthin zurückkehren können. Aber eben nicht in den nächsten Tagen, sonst könntest du dich womöglich anstecken.«
»Und wo soll ich schlafen?«
»Du kannst mit zu uns kommen. Siegbert hat dir mehr als einmal ein Zimmer bei sich angeboten. Gewiss ist er einverstanden.«
»Und Hanno?«
Anna stand auf. »Auch für den wird sich ein Plätzchen bei Siegbert finden lassen. Sagst du es ihm, wenn du ihn siehst?«
»Wenn ich ihn sehe, ja.« Gawin kratzte sich am Kopf. »Doch so, wie der hier rausgerauscht ist, bin ich mir nicht sicher, wann und ob ich ihn überhaupt wieder zu Gesicht bekomme.«
»Wo kann er denn sein? Soll ich nach ihm suchen?«
»Das lässt du lieber sein, hast du gehört?« Gawins Stimme klang barsch. »Abgesehen davon, dass die Pest in der Stadt umgeht, treibt Hanno sich in Kreisen herum, in denen weder du noch ich etwas verloren haben.«
Anna sah ihn ob seiner heftigen Worte verwundert an.
Er tätschelte beruhigend ihren Arm. »Mach dir keine Gedanken, ich kümmere mich darum. Ich werde nach ihm suchen.«
Die Berührung ließ Annas Haut kribbeln. Wie so oft in letzter Zeit sehnte sie sich nach den kleinen, fast unmerklichen Zärtlichkeiten, die sie früher untereinander ausgetauscht hatten. Es stimmte sie froh, dass sie nun wieder unter einem Dach leben würden, wenngleich der Anlass dazu kein erfreulicher war.
»Dann bis nachher. Ich werde Siegbert Bescheid geben.« Sie hauchte ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange und ertappte sich dabei, ihre Lippen dort länger als nötig verweilen zu lassen. Schnell wich sie zurück und eilte ohne ein weiteres Wort wieder aus der Werkstatt hinaus.
Ihr Duft hing noch lange im Raum und machte es Gawin schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Sosehr er sich auch bemühte, nicht an sie zu denken, trat ihm doch immer wieder ihr Bild vor Augen und ließ sein Herz schneller schlagen. Schließlich ließ er sein Werkzeug sinken und ging zu Jordan hinüber.
»Ich habe etwas zu erledigen, bin aber so schnell ich kann wieder zurück.«
»Ja, ja!«, murmelte Jordan nur und sah nicht einmal auf. Gawin ließ seinen Blick noch einen Augenblick auf dem alten Kauz ruhen, bevor er sich umdrehte, nach seinem Umhang griff und die Werkstatt verließ.
Als er ins Freie trat, schlug ihm der Wind eisig kalt entgegen. Kurz erinnerte er sich an seine Zeit im Wald, wie er sich
Weitere Kostenlose Bücher