Die Duftnäherin
tastete mit den Fingern über das Kleid.
»Ja, das ist es, und wenn wir so weitermachen, wirst du bald eine reiche Frau sein«, bestätigte Anna zufrieden.
Die Augen der Jüngeren verengten sich. »Ich war schon einmal reich. Aber es hat mich nicht glücklich gemacht.«
»Verzeih!«
»Nein, nein, du kannst nichts dafür. Ich musste nur unwillkürlich an Köln denken und daran, was ich alles zurückgelassen habe.«
»Vielleicht kannst du ja eines Tages dorthin zurückkehren«, meinte Anna tröstend.
Esther schüttelte den Kopf. »Dort ist nichts mehr, wofür es sich zurückzukehren lohnt.«
»Dann versuch, nicht mehr daran zu denken. Und …«, sie zögerte, »… kannst du dir nicht vorstellen, vielleicht auch hier glücklich zu werden? Hier in Bremen?«
Die Jüngere lächelte ob Annas Versuch sie aufzumuntern. »Gewiss. Vor allem, wenn wir etwas so Schönes fertigen.« Sie deutete auf das Kleid.
»Siehst du. Glaub mir, irgendwann verschwinden auch die dunkelsten Gedanken. Ich weiß es aus eigener Erfahrung.«
»Aber hast du denn auch schon etwas Furchtbares erlebt? Ich dachte, du würdest schon immer hier in diesem wunderbaren Haus leben, von Siegbert beschützt und behütet?«
»Nein, Esther, gewiss nicht. Und sobald es die Zeit erlaubt, werde ich dir meine Geschichte erzählen. Doch jetzt sollten wir Marquardt bitten, einen Boten mit dem Kleid loszuschicken. Die Frau des Ratsherrn von Klee wird es kaum erwarten können.«
Die Jüdin lächelte, wenngleich sie sich fragte, was ihrer Freundin wohl widerfahren sein mochte. Aber sie würde es schon noch erfahren, befand sie und spürte, dass die Verbundenheit zwischen ihnen jeden Tag mehr wuchs.
Am Nachmittag nahm Anna sich die Zeit, ihrer Freundin Margrite noch einen kurzen Besuch abzustatten. Doch zu ihrer Verwunderung fand sie deren Haustür, die sonst stets offen war, dieses Mal verriegelt vor. Sie betätigte mehrmals kräftig den eisernen Klopfer und wartete. Es dauerte etwas, bis sie Schritte im Flur hörte und die Pforte geöffnet wurde. Margrite steckte ihren Kopf zur Tür hinaus.
»Ach, du bist es.«
Anna machte einen Schritt vor, um einzutreten, und stockte, als Margrite die Tür nicht freigab.
»Du musst wieder gehen.«
»Weshalb? Habe ich etwas falsch gemacht?«
Margrite schüttelte den Kopf, trat zur ihr hinaus und zog die Tür hinter sich ins Schloss. »Du könntest dich anstecken.«
Annas Augen weiteten sich. »Was ist geschehen?« Sie wollte Margrite die Hand auf den Arm legen, doch die zuckte zurück.
»Berühr mich lieber nicht.« Kraftlos ließ sich die Seifensiederin auf die Stufen vor ihrem Haus niedersinken. Anna setzte sich an ihre Seite.
»Es ist Binhildis. Anderlin hat sie auf der Straße gefunden. Der Hurenwirt hat sie einfach hinausgeworfen, als sie zu schwach war, um noch weiter zu arbeiten.«
»Was hat sie denn?« Annas Stimme klang ängstlich.
»Zwar hat sie noch keine Flecken. Doch ich denke, dass der Schwarze Tod bereits Besitz von ihr ergriffen hat.«
»Habt ihr nach einem Arzt geschickt?«
Margrite verzog spöttisch den Mund. »Schon vor Stunden. Aber es gibt einfach zu viele Pestfälle in der Stadt. Sollte der Medicus, so Gott will, noch hier erscheinen, hat Binhildis Glück, wenn sie bis dahin überhaupt noch lebt.«
»So schlimm ist es?«
Margrite nickte ohne ein Wort.
Eine Weile saßen sie nachdenklich nebeneinander, ohne dass eine der Frauen sprach.
»Aber auch ihr könntet euch anstecken.« Es klang verzagt.
»Da mach dir mal keine Sorgen, meine Kleine.« Margrite lächelte der Jüngeren aufmunternd zu. »Wir haben schon so viel überstanden, dass uns auch die Pest nicht unterkriegen wird.« Sie bemühte sich, Zuversicht in ihre Stimme zu legen, bemerkte aber selbst, dass ihr das nicht ganz gelang.
»Es war richtig von Anderlin sie herzubringen«, stellte sie klar. »Binhildis hat ihre Fehler, doch allein mitten auf der Straße zu krepieren, hat sie nicht verdient.«
»Was ist mit Gawin und Hanno?«
»Sie wissen noch nichts davon. Anderlin hat Binhildis gebracht, nachdem die beiden das Haus schon verlassen hatten.«
»Dann werde ich sofort in die Werkstatt gehen und es ihnen mitteilen. Außerdem werde ich Siegbert fragen, ob sie einstweilen bei uns unterkommen können.«
Margrite stand von den Stufen auf. »Das ist gut. Und du solltest jetzt besser gehen und mich in nächster Zeit nicht besuchen kommen. Ich werde dir Nachricht schicken, sobald hier alles wieder beim Alten ist.« Sie ging zur
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