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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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steht noch nicht fest.«
    Siegbert stand auf, schenkte sich Wein nach und leerte den Becher in einem Zug. Dann berichtete er, was er von Marquardt über die Situation, die dieser bei seinem Eintreffen in der Werkstatt vorfand, erfahren hatte. Auch ließ er nicht unerwähnt, dass Gawin in der Waschküche sei, um sich das Blut, das seine Kleider durchtränkt hatte, von der Haut zu spülen.
    Esther schluckte. Die Erwähnung des vielen Blutes ließ sie an die Schreckensnacht in Köln zurückdenken und am ganzen Körper erschauern. Die Bilder, die vor ihrem geistigen Auge vorüberzogen, waren so furchtbar, dass sie in Versuchung war, sich die Hände gegen die Ohren zu pressen, um nichts mehr von Gewalt, Tod und Schmerz hören zu müssen. Doch sosehr sie sich auch bemühte, übermannten sie doch die Erinnerung und der Schmerz, der damit verbunden war. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und rannte hinaus.
    Anna warf Siegbert einen verwirrten Blick zu. »Ich kümmere mich um sie.« Eilig schob auch sie ihren Stuhl zurück und folgte der Freundin.

[home]
    44 . Kapitel
    A nna hatte lange neben Esther auf dem Bett gesessen und zärtlich deren Kopf gestreichelt, bis ihre Tränen versiegt waren und sie in einen tiefen Schlaf gesunken war. Leise schlich sie sich hinaus in ihr eigenes Zimmer, legte ihre Kleider ab und setzte sich vor den kleinen Tisch mit dem Waschgeschirr. Mit einer zärtlichen Geste nahm sie die Seife, feuchtete ihre Hände in der Schale an und verteilte die duftende Kostbarkeit dann in deren Innenflächen. Genussvoll und erschöpft zugleich schloss sie ihre Augen. Mit sanften Bewegungen ließ sie die Hände über ihre Schultern gleiten, strich die Arme entlang und wieder zurück. Mit den Fingerspitzen verteilte sie die Seife auf ihrem Hals, umfasste ihren Nacken und rieb die cremige, reinigende Substanz ein. Langsam tauchte sie ihre Hände wieder in die Wasserschale und befeuchtete ihren gesamten Oberkörper bis zum Bauchnabel. Dann nahm sie das Seifenstück erneut zur Hand und strich damit langsam ihren Körper hinab.
    Sie schreckte zusammen, als es an die Tür klopfte.
    »Einen Moment!«
    Eilig warf sie sich einen Umhang über die Schultern, zog ihn vor ihrem Körper zusammen und öffnete dann einen Spaltbreit die Tür. Gawin sah sie nur an. Ohne ein Wort gab sie den Eingang frei, und er betrat den Raum.
    Sogleich umhüllte ihn der Duft in ihrem Zimmer, und seine hochgezogenen Schultern entspannten sich und sanken hinab.
    »Hast du etwas gegessen?«
    »Ich habe keinen Hunger.«
    Kraftlos ging er zum Bett hinüber, setzte sich auf die Kante und vergrub sein Gesicht in beiden Händen.
    Anna ging zu ihm hinüber, hielt mit einer Hand den Umhang geschlossen und hockte sich vor ihn auf den Boden. Vorsichtig griff sie mit ihrer freien Hand nach seiner Rechten, zog sie von seinem Gesicht zu sich hinab und hielt sie sanft fest. Sie sagte kein Wort, sah ihn nur an.
    »Jordan ist tot.«
    »Ich weiß«, gab sie leise zurück. »Siegbert hat es mir gesagt. Was ist geschehen?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Als ich in die Werkstatt kam, lag er am Boden und blutete aus einer tiefen Wunde am Kopf.«
    »Lebte er noch?«
    »Ja, doch ihm blieb kaum mehr die Zeit, sich von mir zu verabschieden.« Seine andere Hand ballte sich zur Faust. »Ich weiß, wer es war.«
    Annas Augen weiteten sich. »Wer?«
    »Hanno.«
    »Was? Hat Jordan das gesagt?«
    »Das musste er nicht. Ich weiß es auch so.«
    »Aber …« Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Hanno war Gawins bester Freund. Und Jordan hatte ihn bei sich arbeiten lassen. Weshalb sollte Hanno so etwas tun?
    »Die Trauer trübt deinen Blick«, urteilte sie vorsichtig. »Hast du mit Hanno gesprochen? Hat er selbst dir denn gestanden, dass er Jordan das angetan hat?«
    In Gawins Blick lag nichts als blanker Hass und Verachtung.
    »Es ist alles meine Schuld. Wenn ich Hanno nicht in die Werkstatt geholt hätte, könnte mein Meister noch leben. Ich hätte diesen Dreckskerl am Hafen lassen oder ihn besser gleich den Fischen vorwerfen sollen.«
    Anna zuckte erschrocken ein Stück zurück, besann sich dann aber und umarmte ihn fest, wobei sich ihr Umhang ein Stück öffnete.
    »Hör auf! Hör auf damit! Und urteile nicht über Hanno, bis du nicht wirklich weißt, was geschehen ist.«
    Kurz versuchte Gawin, sie von sich stoßen, ließ dann aber die Arme sinken und begann jämmerlich zu schluchzen. Wie ein Ertrinkender hielt er sich an ihr fest, und Anna strich ihm zärtlich über den Kopf.

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