Die Duftnäherin
Treppengeländer und sah hinunter. Gawin wurde gerade, auf einer Trage liegend, in die große Stube getragen.
Sofort eilten Esther und die Patrizier die Stufen hinab.
»Was ist geschehen?«, rief Esther, noch bevor sie Siegbert erreicht hatte.
»Es war grauenhaft. Gawin ist freigesprochen worden, hat aber schwere Verbrennungen am Oberkörper erlitten. Sein Leben ist zwar nicht in Gefahr, doch es wird Zeit brauchen, bis seine Wunden wieder verheilt sind. Der Medicus hat den Apotheker angewiesen, nachher noch einen Boten mit Salbe vorbeizuschicken. Wenn wir diese regelmäßig auftragen, wird dies die Heilung unterstützen.«
»Es war bereits ein Bote da«, berichtete ihm Esther.
»Wirklich?« Siegbert ging hinaus und befragte einen seiner Wachleute. Mit einem Schreiben in der Hand kam er wieder zurück. Als er es öffnete und zu lesen begann, weiteten sich sich seine Augen ungläubig.
»Wo ist Anna?«, fragte er mit brüchiger Stimme.
»Sie wollte der Verhandlung beiwohnen, ist aber noch nicht zurück. War sie denn nicht bei dir?«
Von Goossens Beine schienen ihm den Dienst zu versagen. Zitternd tastete er nach einem Stuhl und ließ sich kraftlos auf ihn niedersinken. Er sah auf das Schriftstück in seiner Hand. »Das darf nicht sein.«
»Um Himmels willen, so sprich doch, was ist denn nur geschehen?« Esther eilte zu ihm und hockte sich zu seinen Füßen auf den Boden.
»Er hat sie.«
Gawin stöhnte und bewegte den Kopf. Er kam langsam wieder zu sich. Der Mohnsaft, den der Medicus ihm eingeflößt hatte, schien an Wirkung zu verlieren.
Esther blickte ratlos von Wyland zu Gawin und wieder zu Siegbert, dem das Schriftstück aus der Hand zu Boden geglitten war.
»Was steht dort geschrieben? Gib mir das Schreiben!«, bat Wyland und streckte auffordernd seine Hand aus. Esther hob das Schreiben vom Boden auf und reichte es Wyland, der hastig zu lesen begann.
»Verdammt noch mal! Was sind das nur für Zeiten?« Er drehte sich zu Cornelius um. »Es ist eine Nachricht von einem gewissen Hermann, der darin mitteilt, Anna verschleppt zu haben. Er fordert Geld, viel Geld.« An Siegbert gewandt, fragte er: »Kannst du diese Summe aufbringen?«
Von Goossen nickte. Seine Augen schwammen in Tränen. »Und doch werde ich sie nie wiedersehen.«
»Was?«
»Die Unterschrift. Ich weiß, wer mir diese Nachricht geschickt hat. Er ist ein grausamer Geist aus meinem früheren Leben.«
»Will er sich wegen irgendetwas an dir rächen?«
»Ich weiß es nicht. Doch ich weiß, dass er die Menschen verachtet, und ich weiß, wie er sie behandelt. Wenn Anna nicht schon tot ist, können wir ihr nur wünschen, dass sie es bald ist. Sich in den Händen dieses Mannes zu befinden ist schrecklicher, als es der Tod je sein könnte.«
Esther war zutiefst erschrocken. Hilflos blickte sie zu Wyland hinüber, der seinerseits mit unergründlicher Miene Siegbert betrachtete. Offenbar wusste er, wovon der Freund gesprochen hatte.
»Noch gibt es Hoffnung, Siegbert. Hast du einen Verdacht, wohin der Kerl deine Enkelin verschleppt haben könnte? Cornelius wie auch ich sind erfahrene Kämpfer. Und deine Wachmänner sehen ebenfalls so aus, als ob sie etwas von ihrem Handwerk verstünden. Lass uns versuchen, sie zu finden.«
»Der Mann, der diese Zeilen geschrieben hat, war seit vielen Jahren nicht mehr in Bremen. Ich weiß nicht, wo er sich verstecken könnte.« Alle Kraft schien aus dem sonst so zielstrebigen und stolzen Mann gewichen zu sein.
»Wache!«
Der Wachmann eilte auf Wylands Ruf sogleich aus dem Flur herbei. »Der Bote, der dir diese Nachricht gegeben hat, wie sah der aus?«
»Hm, wie ein Mönch eben so aussieht. Gewiss war er kein Dominikaner. Die sind alle dünn und ausgemergelt. Dieser hier stand gut im Futter.«
»Und in welche Richtung ist er gegangen?«
Der Wachmann zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht.«
»Ist gut.« Mit einer Handbewegung bedeutete Wyland ihm, sich wieder auf seinen Posten begeben zu können.
»Ein Mönch? Auch ich habe vor einigen Tagen einen beleibten Mönch gesehen«, berichtete Esther. »Er hat den Mörder meines Vaters begleitet.«
»Mönche gibt es viele«, mischte Cornelius sich ein. »Ich glaube kaum, dass es da eine Verbindung gibt.«
»Ich schließe mich Cornelius an. Das ist sehr unwahrscheinlich.«
»Aber es gibt bestimmt nicht viele dicke«, beharrte Esther.
»Doch, das sind sogar die meisten. Man könnte gar glauben, die Fastenzeit ist nur dazu da, damit die Gottesdiener nicht
Weitere Kostenlose Bücher