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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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Mönche, meistens war es Adolfus, durchschritt den großen Saal, nahm eine Kerze und entzündete nach und nach die Fackeln an den Wänden. Es waren an jeder Seite dreizehn Wachsstangen, die im Abstand von mehreren Metern in schmiedeeisernen Halterungen steckten. Anna durfte nur zu dieser frühen Stunde, in der die übrigen Mönche in der Kirche zusammenkamen und ihre Gebete sprachen, den Raum betreten. Der Geruch des Wachses und des Feuers, die Wärme, die sie augenblicklich zu spüren meinte, sobald die Flammen größer wurden, schenkten Anna ein Gefühl von Geborgenheit. Sie empfand es als Privileg, dass sie sich eine Kammer mit Gawin teilte, während andere Wanderer und Pilger in der schlichten Halle untergebracht wurden, wo sie dicht zusammenrücken mussten, um der Kälte zu entkommen. Womit Gawin und sie sich diese besondere Behandlung verdient hatten, wusste sie nicht, doch erklärte sich die Bevorzugung teilweise mit den ihnen übertragenen Aufgaben, denen sie so in aller Ruhe nachgehen konnten. Manchmal jedoch beneidete sie die übrigen Schutzsuchenden, die gemeinsam aßen, tranken und sich unterhielten, während es ihr selbst untersagt war, sich zu ihnen zu gesellen.
    Gawin arbeitete inzwischen ununterbrochen. Wenn er dann spät am Abend in die gemeinsame Kammer kam, konnte er die Augenlider fast nicht mehr offen halten und schlief ein, sobald er sich auf dem Lager zusammengerollt hatte. Anna wusste nicht viel über ihn, doch es war offensichtlich, wie sehr ihn das Leben und die Arbeit hier im Kloster erfüllten. Sie selbst vermochte dieses Glück nicht mit ihm zu teilen. Sosehr sie sich bei den Mönchen auch in Sicherheit wog, so zehrte doch die Einsamkeit jeden Tag mehr an ihr. Nur gut, dass sie schon bald die Herstellung der notwendigen Kleider abgeschlossen haben würde, und damit die Zeit kam, sich wieder auf den Weg zu machen. Auch wenn sie sich ein wenig vor dem Moment des Aufbruchs fürchtete. Wie würde Gawin reagieren? Sie wusste nicht, woran er gerade arbeitete, und war nicht sicher, ob er das Leben, welches sich ihm hier bot, so einfach und leichten Herzens wieder aufgeben würde. Der Gedanke, ohne ihn weiterziehen zu müssen, schmerzte sie. Das Räuspern des Mönchs ließ sie aufblicken. Er hatte bereits alle Fackeln entzündet. Es war das Zeichen für Anna, den Saal wieder zu verlassen und in ihre Kammer zurückzukehren. Ihr waren nur die wenigen Augenblicke am Morgen, gleich nachdem sie die Zelle verlassen hatte und während die Mönche aßen, gegönnt, um sich frei im Innenhof, dem angrenzenden Kräutergarten und im Saal zu bewegen. Schweigend erhob sie sich von der Bank und folgte dem Mönch nach draußen. Im Arkadengang blieb sie stehen und lauschte sehnsüchtig den aus einiger Entfernung zu ihr dringenden Stimmen der Klosterbesucher. Einen Moment lang war sie in Versuchung, den Geräuschen zu folgen und einen kleinen Schwatz zu halten, doch sie wollte sich dem Willen des Priors keinesfalls widersetzen. Wie Bruder Hermannus ihr offenbart hatte, gestattete es dieser nicht, dass sie sich unter jene mischte, die für ein paar Tage, manchmal auch nur für eine Nacht, im Kloster Unterschlupf suchten. Seufzend ging sie wieder zu ihrer Kammer zurück. Nur noch wenige Tage, so sagte sich Anna, dann wäre ihre Arbeit beendet, und Gawin und sie könnten fortgehen. Als sie die Tür öffnete, war sie überrascht, den jungen Mann, von dem im Kloster jeder annahm, dass er ihr Bruder sei, auf dem Stuhl in ihrer Zelle vorzufinden.
    »Gawin«, meinte sie. »Was tust du denn hier?«
    »Komm rein. Ich muss dir was erzählen.«
    Anna trat ein und schloss die Tür hinter sich. Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er aufgeregt, ja geradezu heiter war.
    »Was ist geschehen?«
    »Setz dich«, forderte er sie auf. Anna folgte seiner Bitte und nahm auf der Pritsche Platz.
    »Und?«
    Gawin zog seinen Stuhl näher heran, so dass er direkt vor ihr saß. »Vor zwei Tagen, als der Prior mich zu sprechen wünschte, hat er mich bezüglich seines Vorhabens ins Vertrauen gezogen.«
    »Ja?«
    »Stell dir vor, Anna. Er trug mir auf, eine Zeichnung zu fertigen und ihm mitzuteilen, ob es mir möglich sei, eine Madonna zu schnitzen, die größer als ein Mensch ist.«
    »Und das hast du getan?«
    »Ganz recht. Deshalb war ich gestern den ganzen Tag über im Skriptorium. Ich wollte es dir erzählen, doch der Prior hat mir untersagt, mit irgendjemandem, ganz gleich wem, darüber zu sprechen. Heute Morgen nun war ich bei

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